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Eisiges Herz

Eisiges Herz

Titel: Eisiges Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Blunt
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meinem Lesepensum für die Uni, aber auf einmal ist mir das Lesen ganz leicht gefallen. Es war dieser Roman von E. M. Forster, ich fand ihn plötzlich so spannend, dass ich mir wünschte, er würde nie aufhören. Die Charaktere haben mich fasziniert, die Art, wie Forster Dinge beschreibt, und ich war richtig froh, mal über was anderes nachzudenken als immer nur über mich selbst.«
    »Sie haben sich nicht mit sich selbst, sondern mit anderen Dingen beschäftigt.«
    »Genau. Und am meisten hat mich gewundert, dass es so einfach war.«
    Sie rutschte auf dem Sessel nach vorn und warf ihre langen Haare nach hinten. Bell fiel auf, dass ihre Haare frisch gewaschen waren. Mit ihrem erwartungsvollen Gesicht erinnerte sie ihn nicht im Entferntesten mehr an eine ertrunkene Ratte.
    »Es war absolut irre – ich musste das Buch lesen und hattees immer und immer wieder vor mir hergeschoben, weil ich fürchtete, ich könnte mich nicht bis zum Ende darauf konzentrieren, und dass mich das dann noch mehr deprimieren würde –, aber es war wirklich verrückt, denn das Buch zu lesen war einfacher, als es nicht zu lesen. Verstehen Sie, was ich meine? Ich war fix und fertig, weil ich mit meinem Lesepensum im Rückstand war und weil ich mich einfach nicht aufraffen konnte, mit dem Lesen anzufangen. Ich war total deprimiert und hatte Schuldgefühle ohne Ende. Aber nachdem ich einmal mit dem Lesen angefangen hatte, lief alles bestens.«
    »Das ist sehr erfreulich«, sagte Dr. Bell. »Können Sie sich erklären, was die Veränderung bewirkt hat?«
    »Das ist ja das Komische. Mir ist nämlich was passiert, was mich eigentlich hätte total umhauen müssen, aber das hat es nicht getan. Ich meine, es hat mich schon umgehauen, aber nicht so, dass es mich deprimiert hätte. Ich hab noch keinem davon erzählt und …«
    Bell wartete.
    Melanie atmete tief aus und ließ die Schultern hängen. »Ich hab’s meiner Mutter nicht erzählt, ich hab’s Rachel nicht erzählt …«
    Rachel war ihre ehemalige beste Freundin und derzeitige Hausgenossin. Melanie hatte Bell schon vieles anvertraut, worüber sie weder mit Rachel noch mit ihrer Mutter hatte sprechen können, und sie würde ihm auch diesmal alles erzählen.
    »Ich hab den Dreckskerl gesehen«, sagte sie.
    »Wirklich? Sie haben Ihren Stiefvater gesehen?«
    »Meinen
ehemaligen
Stiefvater. Ich nenne ihn nur noch Dreckskerl, weil er genau das ist.«
    »Nennen Sie ihn, wie Sie wollen. Aber ich dachte, er wäre in eine andere Stadt gezogen.«
    »Ist er auch – aber nicht weit weg. Nach Sudbury.«
    »Wo haben Sie ihn denn gesehen?«
    »In der Algonquin Mall. Er kam gerade aus dem Radio Shack. Ich kam aus dem Shoppers Drug Mart, und er kam aus dem Radio Shack. Ich fasse es einfach nicht, dass er wieder hier ist.«
    »Und trotzdem sagten Sie, es hätte Sie erleichtert.«
    »Hab ich das gesagt?« Einen Moment lang sah sie ihn ausdruckslos an. »Kann sein.«
    »Das ist der Mann, der Sie wiederholt missbraucht hat. Der Sie jahrelang als sein Sexspielzeug benutzt hat. Können Sie sich erklären, warum es sie erleichtert hat, ihn zu sehen?«
    »Ich hab mich falsch ausgedrückt. Es hat mich nicht erleichtert, ihn zu sehen. Im Gegenteil, zuerst war es, als hätte ich einen Schlag in die Magengrube gekriegt. Ich hab mich buchstäblich vor Schmerzen gekrümmt. Aber dann bin ich ihm gefolgt. Er hat mich nicht gesehen. Und vielleicht hätte er mich nicht mal erkannt, wenn er mich gesehen hätte. Aber ich bin ihm zum Parkplatz gefolgt und hab ihn beobachtet, wie er in seinen Wagen eingestiegen ist. Es war niemand anders in dem Auto. Ich hab mir sein Kennzeichen aufgeschrieben.«
    »Warum?«
    Eine Hand hörte auf zu gestikulieren. »Ach, ich weiß nicht. Eigentlich hab ich gar nicht darüber nachgedacht. Hab’s einfach getan. Ich hab meinen Stift aus der Tasche genommen und die Nummer auf meine Hand geschrieben. Ist das nicht seltsam?«
    »Finden Sie es seltsam?«
    »Na ja, vielleicht nicht seltsam. Es war irgendwie instinktiv. Und die ganze Zeit hat mein Herz wie verrückt geklopft.« Sie schlug sich mehrmals mit ihrer kleinen Faust aufs Brustbein. »Bumm, bumm, bumm. Ich konnte es tatsächlich hören.Und als er weggefahren ist, bin ich ihm wieder gefolgt. Ist das nicht irre?«
    »Erzählen Sie weiter.«
    »Ich bin ihm bis nach Hause gefolgt. Er wohnt in so einem Einfamilienhaus mit einer Riesengarage. Ich hab beobachtet, wie er in der Einfahrt geparkt hat. Ich hab ein bisschen weiter die Straße runter angehalten

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