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Eisiges Herz

Eisiges Herz

Titel: Eisiges Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Blunt
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Männersache, und im Zimmer roch es nach Öl und Metall. Sein Vater hatte ihm eingeschärft, dass man eine Schusswaffe weder in geladenem Zustand verstaute noch gemeinsam mit der Munition aufbewahrte. Er hatte ihn ermahnt, niemals den Lauf einer Pistole auf einen Menschen zu richten, sich selbst eingeschlossen, nicht einmal im Scherz. Man achtete darauf, eine Schusswaffe so zu halten, dass sie auf den Boden gerichtet war oder in eine Ecke, sogar dann, wenn man die Waffe zum Reinigen in ihre Einzelteile zerlegte und diese auf einem Tuch ausbreitete.
    Viel später, während seines Medizinstudiums, war Bell klar geworden, dass die Kugel über den hinteren Nasenrachenraum eingedrungen war, den Gaumen durchschlagen und wahrscheinlich eine Augenhöhle zertrümmert hatte und schließlich durch die hintere Schädeldecke ausgetreten war. Damals waren die Notärzte noch nicht so geschickt im Umgang mit Schusswunden gewesen. Heute würden sie einen Mann mit einer solchen Verletzung wahrscheinlich nach ein paar Wochen mit eingeschränktem Sprech- und Sehvermögen wieder nach Hause schicken. In den fünfziger Jahren jedoch war eine solche Verletzung tödlich gewesen, wenn auch nicht auf der Stelle.
    Fredericks Vater war zäh. Ein Krankenhausbett wurde im Wohnzimmer aufgestellt. Jeden zweiten Tag kam eine Krankenschwester, um nach ihm zu sehen und seinen Verband zu wechseln. Dann wurde Frederick jedes Mal hinausgeschickt. Manchmal murmelte sein Vater vor sich hin, unverständliches Zeug wie »Drachenfuß« oder »auf Draht«.
    Fredericks Mutter war so überwältigt von Trauer, dass sie ihrem kleinen Sohn kaum eine Hilfe war. Im Gegenteil, er war es, der versuchte, sie zu trösten, der ihr Tee servierte und die Brote, die seine Tanten vorbeibrachten. Dann lächelte sie ihn traurig an, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Während dieser ganzen Zeit kam Frederick sich vor, als wäre er unsichtbar. Seine Tanten unterhielten sich, als wäre er gar nicht da, und mehr als einmal hörte er eine von ihnen – Tante May – ins Telefon flüstern: »… hat sich erschossen«, auf eine Weise, die es ganz und gar nicht so klingen ließ, als wäre es ein Unfall gewesen.
    Der unsichtbare Junge saß im dunklen Treppenhaus und lauschte. Jedes Mal, wenn jemand heraufkam, um die Toilette zu benutzen, flitzte er in sein Zimmer und tat so, als würde er ein Buch lesen. Er bekam alles Mögliche mit, und mehrmalshörte er seine Mutter wehklagen: »Warum hat er das getan? Warum nur?«
    »Er muss schrecklich gelitten haben, der Ärmste«, sagte Tante May.
    »Er war nicht recht bei Sinnen«, meinte Tante Josephine. Und so dämmerte dem kleinen Frederick ganz allmählich, dass sein Vater sich absichtlich erschossen hatte. Die Erkenntnis war ihm unheimlich, aber er konnte nichts damit anfangen. Es gab weder Priester noch Nonnen, die er um Rat hätte bitten können. Nicht dass sie ihm hätten helfen können, aber er war ohne Religion aufgewachsen. Und mit seiner Mutter konnte er auch nicht darüber sprechen, denn sie behauptete immer noch steif und fest, es sei ein Unfall gewesen. Er war wie das kleine Mädchen in dem Bild von Munch: verwirrt und allein, ohne jemanden, an den er sich wenden konnte.
    Das unheimliche Gefühl in seinem Magen blieb und verhärtete sich. In der Schule kam es ihm so vor, als würde der Lehrer aus großer Ferne zu ihm sprechen, wie vom Rand eines tiefen Brunnens aus, in den Frederick gestürzt war. Doch er hatte nicht das Bedürfnis, aus dem Brunnen herauszuklettern. Seine Mitschüler und deren Spiele und Albereien interessierten ihn nicht mehr. Während der Pausen setzte er sich unter einen Baum, zählte Steinchen oder Grashalme oder las eine von seinen Forscherbiografien.
    Sein Vater sank immer tiefer ins Koma. Die Schwester sagte, es stehe schlecht um ihn. Ein Arzt wurde gerufen – damals machten sie noch Hausbesuche – und dann noch einer. Beide erklärten, sie könnten nichts tun, Fredericks Vater würde entweder wieder aufwachen oder nicht.
    Nichts zu machen
.
    Dr. Bell hatte oft gedacht, hätte Munch sich selbst als kleinen Jungen gemalt, wie er an dem Sterbebett saß, dann hätte er dem Bild diesen Titel gegeben.
Nichts zu machen
. Mankonnte nichts tun, als zu trauern und sich von den Gefühlen überwältigen zu lassen, über die in den fünfziger Jahren in einem britischen Haushalt nicht gesprochen werden durfte. Als Psychiater war Dr. Bell sich darüber im Klaren, dass er damals eine unbändige Wut auf seinen Vater

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