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Eisiges Herz

Eisiges Herz

Titel: Eisiges Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Blunt
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sich jemand anders vielleicht zurückgesetzt.
    Cardinal ging in die Küche, um sich etwas zu trinken zu holen. Das Klimpern der Eiswürfel im Glas und das Gluckerndes Whiskys klangen unverhältnismäßig laut in der vollkommenen Stille. Er schaltete das Radio ein, hörte drei Takte Country-Musik, schaltete es wieder aus. Normalerweise hörte er spätabends nie Radio, es war nichts als die blanke Verzweiflung.
    Er setzte sich an den Küchentisch. Wenn er nachts nicht schlafen konnte, kam er in die Küche und aß eine Schüssel Cornflakes. Als Catherine noch nebenan im Bett gelegen hatte, war ihm die Küche nie trostlos vorgekommen. Er schlug die Akte auf, die er für Catherine angelegt hatte. Sie war dünner als jede Akte, die er je bearbeitet hatte. Wenn es einen Fall gab, dann hatte man Aufzeichnungen, dann hatte man Spuren, man hatte eine Vorstellung von der Lösung des Falles. Aber diese Akte enthielt so gut wie gar nichts.
    Da waren die gehässigen Beileidskarten, aber die waren inzwischen keinen Pfifferling mehr wert. Da waren seine Aufzeichnungen über Codwallader und Felt, Schritte in dieselbe Sackgasse. Und da war die Seite aus Catherines Notizblock. Das Blassblau aus ihrem Lieblingskugelschreiber. Und ihre Handschrift mit den schnörkellosen Js und den schwungvollen Ts.
    Wenn du das liest

    Die Akte enthielt zwei Versionen des Abschiedsbriefs: das Original in blauer Tinte und die Kopie, die Tommy Hunn im kriminaltechnischen Labor gemacht hatte, weiße Schrift auf schwarzem Grund, auf dem der Toner die auf dem Original unsichtbaren Fingerabdrücke zum Vorschein gebracht hatte. Am Rand befand sich Catherines Daumenabdruck mit der feinen Querlinie, wo sie sich vor Jahren geschnitten hatte. Am seitlichen Rand waren kleinere Abdrücke zu sehen, die wahrscheinlich ebenfalls von Catherine stammten. Das ließe sich leicht überprüfen.
    Aber dann gab es da noch den Daumenabdruck am unterenRand der Seite, der zu groß war, um von Catherine stammen zu können. Außerdem war Catherine Rechtshänderin gewesen. Als sie das Blatt aus dem Notizblock gerissen hatte, müsste sie es normalerweise mit der rechten Hand angefasst haben. Aber wessen Daumenabdruck konnte das sein, der sich in der Mitte am unteren Rand befand? Wenn er weder vom Gerichtsmediziner noch von Delorme oder sonst jemandem stammte, der am Tatort gewesen war, wer konnte dann Catherines Abschiedsbrief in der Hand gehalten haben?

30
     
    T
ote Mutter und Kind
. Das Gemälde von Edvard Munch war Frederick Bells Lieblingsbild, und er wusste genau, warum. Die reglose Gestalt der toten Mutter auf dem Bett, bleich, fast transparent, die trauernden Angehörigen, und niemand beachtet das kleine Mädchen im Vordergrund, das die Hände hebt, als wollte es die Augen oder die Ohren bedecken, um sich gegen die Erkenntnis zu wehren, dass die Mutter tot ist. Bell wusste, dass Munchs Mutter an Schwindsucht gestorben war, als dieser noch ein Junge war, und ihr früher Tod hatte Munchs ganzes Leben überschattet. Der Tod der Mutter hatte ihn traumatisiert, und er hatte ihn zum Künstler gemacht.
    Schwindsucht. Die Medizin hatte in den vergangenen hundert Jahren große Fortschritte gemacht. Schwindsucht, oder Tuberkulose, war mit Hilfe von Antibiotika praktisch vom Planeten Erde getilgt worden. Depressionen dagegen florierten mehr denn je.
    Munch hatte sein Sterbebett gehabt. Bell hatte schon an zweien gesessen.
    Zum ersten Mal, im Alter von acht Jahren, an dem seines Vaters. Jeden Tag hatte er nach der Schule eine Stunde lang am Bett seines Vaters sitzen müssen, bis seine Mutter, die Krankenschwester war, von der Arbeit nach Hause kam.
    Sein Vater war dunkelhaarig gewesen: buschiger Bart, buschige Augenbrauen, krauses, schwarzes Haar. Ein schwarzer Ire, hatte Bells Mutter immer gesagt, und der Junge hatte sich gefragt, ob sein Vater vielleicht etwas mit den Unruhen in Nordirland zu tun gehabt hatte. Später hatte er jedoch erfahren, dass sein Vater niemals einen Fuß in das Land gesetzt hatte. Später hatte er alle möglichen Dinge erfahren.
    Doch damals, am Sterbebett Nummer eins, hatte ein weißer Kopfverband, der ein Auge bedeckte, dem schönen Gesicht seines Vaters etwas Heroisches verliehen. Er wirkte wie ein gerade aus dem Krieg zurückgekehrter Soldat, der im Kampf für sein Vaterland verwundet worden war und angesichts der erlebten Greuel den Verstand verloren hatte.
    Ein Unfall, hatte seine Mutter gesagt. Ein schrecklicher Unfall beim Säubern seiner Pistole,

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