Eiskalt Ist Die Zaertlichkeit
wenig frommen Wunsch, diesem Tier einen kleinen Vorgeschmack seiner eigenen Grausamkeit zu bieten. Denn allein etwas von Winters’ Brutalität würde sich als tödlich erweisen.
Toni drückte Sue Ann sanft auf einen Sessel und hockte sich neben sie. »Warum nicht? Warum will er Ihr Baby nicht?«
Sue Ann zuckte mit den Schultern; es war ein mitleiderregender Anblick. »Er will nur seinen Sohn. Robbie.«
Toni legte Sue Ann tröstend eine Hand aufs Knie, nahm sie aber sofort wieder weg, als die Frau zusammenzuckte. »Sue Ann, darf ich mir Ihren Rücken anschauen?«
Sue Ann griff nach den Aufschlägen ihres billigen Morgenmantels und zog ihn sich enger um den Körper, als wollte sie sich in einen Kokon einspinnen. Sie wiegte sich leicht vor und zurück, kniff die Augen zu und schrumpfte in sich zusammen, als wollte sie möglichst wenig Angriffsfläche bieten. »Nein.«
»Bitte«, sagte Toni leise. »Wir können Ihnen helfen, Sue Ann. Sie müssen dieses Leben nicht weiterführen.«
Daraufhin hob Sue Ann den Blick.
Und Steven wusste, dass er diesen Ausdruck äußerster Hoffnungslosigkeit in ihren Augen nie vergessen würde. Denn so groß ihre Angst vor dem Bleiben auch war, Sue Ann Broughtons Angst vor der Flucht war noch größer.
»Gehen Sie doch«, flüsterte sie. »Gehen Sie, und lassen Sie uns in Ruhe.«
Steven ließ sich auf ein Knie nieder. Er musste es noch einmal versuchen. »Miss Broughton, wissen Sie, wo Rob Winters sich aufhält?«
Sie zögerte einen Herzschlag lang. »Nein.«
»Toni!« Der Ruf kam von Detective Lambert, der den Schrank im Schlafzimmer durchsuchte. »Hier ist etwas, das Sie sich unbedingt ansehen sollten.«
Toni deutete auf einen der uniformierten Polizisten. »Geben Sie auf sie Acht. Passen Sie auf, dass sie nichts anfasst.«
Steven folgte Toni auf den Fersen und hätte sie beinahe angerempelt, als sie abrupt vor der Schranktür stehen blieb. Steven riss die Augen auf, als er den Raum sah.
»Gute Arbeit, Jonathan«, bemerkte Toni leise.
Detective Lambert nickte nur. »Schauen Sie sich da mal um. So etwas habe ich noch nie gesehen.«
Steven auch nicht. Der Raum war etwa zwei mal drei Meter groß, die Längsseite war ein einziger Spiegel, der von der Kante eines langgestreckten Frisiertisches bis an die Decke reichte. In der Mitte des Frisiertisches war ein Waschbecken eingelassen.
»Einen Schrank mit fließendem Wasser habe ich noch nie gesehen«, bemerkte Toni tonlos.
»Und so viele Köpfe auch nicht«, fügte Steven hinzu. Es war nur zu wahr. Auf dem Frisiertisch standen zehn Styroporköpfe in Reih und Glied. Fünf trugen Perücken, die anderen fünf waren im Augenblick kahl. Einige der Köpfe hatten Schnurrbärte, andere Vollbärte, Ziegenbärte, Backenbärte. Unter jedem der Köpfe lag ein Plastikbeutel. Steven zog einen Stift aus der Tasche und berührte damit einen der Beutel. Er war glibberig.
»Da ist Watte oder Kochsalzlösung drin. Damit kann er seine Gesichtsform verändern«, erklärte Lambert. Er zuckte mit den Schultern. »Ich spiele im Gemeindetheater mit.«
So sieht er auch aus
, dachte Steven. Lambert hatte Ähnlichkeit mit Robert Redford in seinen besten Jahren, obwohl er, wenn überhaupt möglich, noch blonder war. Toni war vor einen der Styroporköpfe getreten und beugte sich vor, um ein Foto zu betrachten, dass genau hinter dem Kopf ordentlich an die Wand gepinnt war.
»Und sogar mit einem fertigen Porträt als Gebrauchsanweisung«, murmelte Toni. »Oh, mein Gott.«
Steven trat näher heran und studierte jedes einzelne Farbfoto. Jedes zeigte Rob Winters’ Gesicht, doch das hätte er nie erkannt, wenn er nicht genau danach gesucht hätte. Er blieb vor dem ersten kahlen Styroporkopf stehen. Der Mann auf dem zugehörigen Foto hatte graues Haar und einen Schnauzbart. »Diese Verkleidung hat er benutzt, als er Schwester Burns aufgesucht hat.«
Toni seufzte. »Ein Suchbefehl reicht nicht mehr aus. Jetzt ist ein Haftbefehl fällig. Verdammt.«
Asheville
Mittwoch, 14. März, 8:00 Uhr
Das Stimmengewirr im Verhörraum des Polizeireviers von Asheville verstummte abrupt, als Ross mit einem Mann in einem schwarzen Anzug eintrat. IA . Jemand vom Dezernat für Innere Angelegenheiten.
Warum ziehen die sich immer wie Bestattungsunternehmer an?
, fragte sich Steven, der hinten im Raum stand und schweigend zusah.
Der schwarze Anzug stieg auf das Podium, und Steven spürte beinahe körperlich die lautlosen Buhrufe und Flüche, die dem IA galten. »Heute um
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