Eiskalt Ist Die Zaertlichkeit
die Hand auf den Türgriff und schob den Schlüssel in den ersten Schlitz. Als der Türgriff sich problemlos drehen ließ, runzelte sie die Stirn. Der Ärger gab ihr die Kraft, in die Wohnung zu stürmen.
»Evie!«, rief sie, hörte die Schärfe in ihrer Stimme und störte sich doch nicht daran. »Du hast vergessen, die Tür zu verriegeln – schon wieder!« Dana schlug die Tür zu, legte rasch die Kette vor und drehte nacheinander die drei Schlösser zu, was ihr ein Gefühl der Sicherheit vermittelte. Bei ihrem Gehalt konnte sie sich eine Wohnung in einer nur annähernd sicheren Gegend nun einmal nicht leisten. Nur die Kette, die drei Riegel, ihr gutes Verhältnis zu den Polizisten dieser Gegend und der kleine Revolver, den sie unter der Matratze aufbewahrte, gaben ihr endgültig ein Gefühl der Sicherheit.
Evie hatte nicht geantwortet. Dana warf einen Blick auf die Uhr. Dieses Mädchen würde bis in den Nachmittag hinein schlafen, wenn niemand sie weckte. Dana knöpfte im Gehen ihren Mantel auf, während sie zum hinteren Schlafzimmer ging.
»Verdammt noch mal, Evie, wach auf. Du verschläfst dein halbes …«
Die Worte blieben ihr im Halse stecken, als Dana das Durcheinander in dem Zimmer sah.
»… Leben«, flüsterte sie. »Nein, nein, nein! Mein Gott, Evie!« Sie fiel neben dem Bett auf die Knie, griff mit der einen Hand an den Hals des Mädchens, mit der anderen zum Telefon. Die Finger ihrer Rechten tippten die Notrufnummer ein, während sie mit der Linken verzweifelt nach einem Puls unter dem Draht an Evies Hals suchte.
Asheville
Sonntag, 18. März, 12:30 Uhr
Im Untersuchungsgefängnis ging es vergleichsweise ruhig zu. Ruhiger als an Werktagen und eindeutig ruhiger als der Lärm, den die Horde skandalhungriger Reporter, die sich zur Pressekonferenz im Plenarsaal des Rathauses von Asheville versammelt hatte, verursachte. Steven blickte sich in dem Raum um und entdeckte Lambert, der mit einem Kopfhörer auf den Ohren konzentriert in seinen Computer tippte. Als Steven näher kam, setzte Lambert den Kopfhörer ab und hob mit einer Grimasse den Blick.
»Ich transkribiere die Aufnahme von Winters’ Privattelefon«, erklärte er.
»Und?«
Lambert schüttelte den Kopf und griff nach der Kaffeetasse auf der Ecke seines penibel ordentlichen Schreibtisches. Er trank einen Schluck, zog abermals eine Grimasse und spie den Kaffee zurück in die Tasse. »
Bah.
Du liebe Zeit. Nur wenn er kalt ist, schmeckt unser Kaffee noch scheußlicher als sonst. Die meisten Anrufe hier stammen von Firmen, die Telefonmarketing betreiben. Allerdings hat Sue Ann ihren Frauenarzt angerufen und einen Termin für eine Vorsorgeuntersuchung vereinbart.« Lambert fuhr sich mit den Fingerspitzen über das Gesicht und streckte sich. Dann wies er auf einen freien Stuhl. »Ich hasse das Transkribieren. Davon bekomme ich höllische Kopfschmerzen. Haben Sie etwas von Spinelli gehört?«
Steven setzte sich und schüttelte den Kopf. »Nichts Neues. Er hat heute Morgen in aller Frühe noch einmal einen Streifenwagen geschickt, aber Caroline Stewart war immer noch nicht zu Hause. Er hat ein paar Nachrichten auf ihrem Anrufbeantworter hinterlassen, gemeldet hat sie sich jedoch noch nicht. Gibt’s was Neues von der Autopsie des Jungen?«
Lambert schien in seinem Stuhl zusammenzufallen. »Toni sagt, der Gerichtsmediziner ist sich zu 98 Prozent sicher, dass das Haar an Winters’ Stiefeln vom Kopf des Jungen stammt. Das war ja nicht anders zu erwarten, oder?«
»Aber Sie haben gehofft, dass es nicht so wäre.«
»Weiß Gott, ja.« Lambert wandte den Blick ab und starrte den Stadtplan an der Wand an. »Können Sie sich vorstellen, wie es ist, wenn man fünfzehn Jahre mit einem Mann zusammengearbeitet hat und dann erfahren muss, dass er ein Ungeheuer ist?«
Steven überlegte. Er konnte es sich vorstellen, aber auf eine andere Art als Lambert. Um nicht an sein persönliches Ungeheuer denken zu müssen, stand er auf, schenkte zwei Tassen Kaffee ein, ging zurück zu Lamberts Schreibtisch und reichte ihm eine der Tassen.
Lambert lächelte ihm dankbar zu. »Danke.« Er zögerte. »Und danke auch dafür, dass Sie neulich Toni Mut zugesprochen haben. Es war genau das, was sie brauchte.«
Steven zuckte leicht verlegen mit den Schultern. »Es war die Wahrheit.«
»Trotzdem danke.« Erneut breitete sich verlegenes Schweigen zwischen ihnen aus, dann richtete sich Lambert auf seinem Stuhl auf und fuhr sich mit der Hand durch sein goldenes Haar.
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