Eiskalt Ist Die Zaertlichkeit
jedem anderen Menschen vertraut hatte, zu begreifen. »Er hat immer anderen die Schuld an seinen Problemen gegeben, hat die Menschen in seiner Umgebung für etwas leiden lassen, das er nicht in den Griff bekam. Er lebte in der Vergangenheit.«
Dana schien sich zu beruhigen, wenngleich sie sich nicht von der Stelle rührte. »Du nicht?«
Erlösende Wut wallte in Caroline auf. »Nein!«
Dana seufzte und legte den Gang ein. »Na schön. Bis später, Mary Grace. Bitte mach die Tür zu.« Sie sah sie bedeutungsvoll an. »Mary Grace.«
»Nenn mich nicht so«, knirschte Caroline zwischen den Zähnen hervor und vergewisserte sich mit einem raschen Blick auf ihre Umgebung, dass niemand in der Nähe war und es gehört hatte.
Dana seufzte erneut, ausgiebig und theatralisch. »Warum nicht? Weil der große böse Ehegatte in den Büschen lauern könnte? Lass es gut sein. Er kommt nicht, um dich zu holen. Du kannst dich ruhig wieder Mary Grace Winters nennen, das geschundenste aller Gewaltopfer.« Sie biss sich auf die Unterlippe, und erst jetzt bemerkte Caroline die Tränen in Danas Augen. »Denn du bist ganz eindeutig nicht die Frau, die ich zu kennen glaubte. Sie hätte jemandem, den sie liebt, niemals so verletzt, wie du Max Hunter verletzt hast. Du bist nicht Caroline.« Sie blinzelte, und die Tränen liefen ihr über die Wangen. »Also mach die Tür zu, Mary Grace. Ich muss nach Hause.«
Wutschäumend schlug Caroline die Tür zu und blickte dem Wagen nach, als Dana davonfuhr.
»Ich bin nicht moralisch überlegen«, sprach sie leise auf die leere Straße hinaus. »Überhaupt nicht.«
Wütend und weinend stieg sie die Treppe zu ihrer Wohnung hinauf und öffnete die Tür. Sie warf den Mantel auf das Sofa, die Handtasche in einen Sessel. Ihre Schlüssel klimperten, als sie sie durch die Küche warf, wo sie klirrend in der Ecke hinter der Keksdose landeten. Sie öffnete den Kühlschrank und schloss ihn gleich wieder, als der bloße Anblick von etwas Essbarem ihr Übelkeit verursachte.
Sie lehnte die Stirn gegen die Kühlschranktür, schloss die Augen und flüsterte: »Ich laufe nicht weg.« Stimmte das? War diese ›ganze Bigamie-Sache‹ nur Schall und Rauch? Hatte sie sich jemals einen Dreck um die Gesetze von North Carolina geschert? Nein. Die Antwort auf diese Frage lautete eindeutig nein. Sie schaute sich in ihrer Küche um, entdeckte Brotkrümel auf der Arbeitsfläche, ein Messer in der Spüle, Reste des letzten Sandwiches, das Tom vor seinem Aufbruch zum Campingausflug verschlungen hatte. Ihr Sohn war gesund, stark, wohlgenährt. Und in Sicherheit. Dana hatte Recht. Er war in Sicherheit, weil sie, Caroline, den Gedanken an den Betrug ignorierte, den sie begehen musste, um seine Geburtsurkunde, seine Versicherungsnummer zu bekommen. Alles andere war nebensächlich im Vergleich zu dem Anspruch, ihren Sohn in Sicherheit zu wissen. Auch das Gesetz.
Sie war froh, dass Tom sie in ihrem derzeitigen Zustand nicht sah, wenngleich sie seine tröstende Loyalität vermisste. Es bereitete ihr ein schlechtes Gewissen, diese Abhängigkeit von Tom, die Bürde, die sie ihm jahrelang auferlegt hatte. Sie schniefte, um den Schmerz in ihrem Kopf zu bekämpfen, allerdings ohne Erfolg. Mit einem tiefen Seufzer ging sie zum Bad, in der Hoffnung, dass ein nasser Waschlappen ihr Linderung verschaffen könnte.
Sie stieß die Tür zum Badezimmer auf, stützte die Hände auf das Waschbecken und ließ den Kopf hängen. Sie hatte ihm wehgetan. Sie hatte Max in tiefster Seele verletzt. Das hatte sie in seinen Augen gesehen. Dann drangen ihr Danas Worte ins Bewusstsein zurück. Hatte sie wirklich versucht, davonzulaufen?
Sie drehte das heiße Wasser auf, bis Dampf aus dem Hahn zischte, befeuchtete einen Waschlappen und legte ihn sich über das Gesicht. Es half. Der Schmerz hinter ihren Augen schien ein bisschen nachzulassen, sodass sie wieder etwas klarer denken konnte. Sie entfernte den Waschlappen und betrachtete ihr Gesicht im Spiegel. Die Frau, die sie dort sah, war ihr vertraut, wenngleich es Jahre her war, dass sie sie gut kannte. Die Frau, die sie sah, hatte damals oft geweint. Damals, in den Tagen der Verbrennungen, Knochenbrüche und Blutergüsse. Bevor sie weggelaufen war.
Sie lief immer noch weg. Hier, in der Stille ihrer eigenen Wohnung, konnte sie es sich eingestehen. Sie lief weg, weil sie Angst hatte. Nicht vor Max. Im Leben nicht vor Max. Angst hatte sie aber trotzdem. Und sie hatte ausgerechnet den Mann, den zu lieben sie
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