Eiskalt Ist Die Zaertlichkeit
vor dem Sue Ann warten würde, bis sie zum Verhör in Gewahrsam genommen wurde.
Er fuhr weiter, bis er weit entfernt von dem Supermarkt und seinem eigenen Haus zu einem verlassenen Haus gelangte, bog in die Zufahrt ein, kurbelte das Seitenfenster herab und griff in den Briefkasten. Und lächelte. Er zog einen Umschlag heraus, der prall gefüllt mit Bargeld war, das Sue Ann dem Safe in seinem Haus entnommen hatte. Sie hatte ihrem schlitzäugigen Neffen Geld dafür gegeben, dass er den Umschlag in diesen abgelegenen Briefkasten deponierte.
Braves Mädchen
, dachte er und zählte das Geld. Es musste erst einmal reichen.
»Wir fahren aufs Land, Mary Grace«, rief er nach hinten. »Ich würde sagen, in westliche Richtung. Du bist schon sehr lange nicht mehr in der Hütte gewesen.«
Caroline gestattete sich, für einen kurzen Moment die Augen zu schließen, als ein Teil ihrer Hoffnung aus ihrem Herzen wich.
Die Hütte.
Sie lag weit entfernt, abgelegen. Und sie war Robs Geheimversteck. Sie hatte Robs Vater gehört, einem gemeinen, skrupellosen Mann. Nach seinem Tod hatte Rob sie geerbt. Rob hatte sie nur ein paarmal mitgenommen in die Hütte. Gewöhnlich suchte er sie allein auf.
Niemand würde sie dort vermuten. Niemand würde wissen, wo sie zu finden war. Sie musste versuchen, aus eigener Kraft zu entkommen.
Nein, nicht allein. Jetzt nicht mehr. Da war noch jemand, an den sie denken, den sie beschützen musste.
Caroline öffnete die Augen und spähte in das trübe, graue Dämmerlicht hinter ihr im Lieferwagen. Große Augen starrten sie aus einem kleinen Gesichtchen an. Über dem silbernen Isolierband, das das halbe Gesicht bedeckte, war ein schmaler Streifen sommersprossiger Haut zu sehen. Zerzaustes rotes Haar stand in alle Richtungen ab. Er trug noch seinen Spiderman-Pyjama. Der Junge war aus dem Bett gerissen worden, Winters hatte ihm den Mund zugeklebt und ihn an Händen und Füßen gefesselt. Caroline hatte keine Ahnung, wer der Junge war und warum Rob durch die Entführung des Jungen so guter Dinge war.
Sie drehte sich so, dass sie mit ihrem gefesselten Fuß sein Beinchen streicheln konnte. Verzweifelt bewegte er sein Bein der Berührung entgegen, dann blinzelte er, und Tränen strömten über sein kleines Gesicht.
Asheville
Montag, 19. März, 9:00 Uhr
W as, zum Teufel, soll das?«, brauste David auf, als er sah, dass schon wieder eine Straße in der Innenstadt von Asheville von einer Menschenmenge blockiert war, die Protestsprüche skandierten. Es war der reinste Aufruhr, beinahe schon ein ausgewachsenes Chaos. David steuerte Max’ Mercedes im Schneckentempo durch die verstopften Straßen. Einige Leute hielten Transparente hoch, auf denen sie die Brutalität der Polizei anklagten. Fast alle Gesichter waren schwarz. Und jedes einzelne war hart und zornig.
Max zog sein Handy aus der Tasche und gab die Nummer ein, unter der er Special Agent Thatcher während der Nacht jede zweite Stunde angerufen hatte. »Wir sind noch zwei Häuserblocks von der Polizeiwache entfernt, Thatcher, aber wir kommen nicht durch. Hier auf den Straßen herrscht ein Aufruhr, verdammt noch mal.«
»Ich weiß«, erwiderte Thatcher knapp. »Ich schicke Ihnen einen Streifenwagen entgegen, der Sie den Rest der Strecke eskortiert. Haben Sie schon etwas gegessen?«
»Nein.« Max wandte sich zum Rücksitz um. »Hast du Hunger, Tom?«
Tom löste den Blick nicht von den Menschenmassen auf der Straße. »Nein.«
»Aber du musst essen, Junge«, mahnte David sanft.
»Ich würde lieber kotzen«, entgegnete Tom bitter, während er sich immer noch auf die Szene vor dem Fenster konzentrierte.
»Nein, aber wir brauchen nichts, danke«, sagte Max ins Handy und erklärte Thatcher, wo sie zur Zeit feststeckten.
Fünf Minuten später tauchte ein Streifenwagen auf und bahnte sich einen Weg durch die in Sprechchören brüllende Menge. Mit Blaulicht wurden David, Max und Tom zum Parkplatz der Polizeiwache geleitet. Max schälte sich aus dem Beifahrersitz und unterdrückte ein Stöhnen. Seine Hüfte schmerzte, sein Schädel dröhnte, und ein stechender Schmerz schoss durch seine Wirbelsäule. Sie hatten sich entschieden, mit dem Auto zu fahren, da der erste Flug von Chicago erst nach halb elf in Asheville gelandet wäre. Anderthalb Stunden früher in Asheville anzukommen entschädigte ihn für jede Minute des Schmerzes, dem er während der zwölfstündigen Fahrt ausgesetzt war. Hinter ihm stieg Tom aus und reichte ihm wortlos seinen
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