Eiskalt Ist Die Zaertlichkeit
Lambert brach ab und beobachtete das wechselnde Mienenspiel auf Sue Anns Gesicht, als die Frau mit sich selbst und mit ihrer Angst vor Winters kämpfte.
Max sah aus den Augenwinkeln, wie sich Tom mit aschfahlem Gesicht vorbeugte.
»Miss Broughton.« Toms Stimme klang rau. »Sie bekommen ein Kind.« Er räusperte sich. »Möchten Sie, dass dieses Kind mit einem Vater leben muss, der es quält und ihm wehtut?«
Sue Ann schüttelte den Kopf. Tränen glitzerten in ihren Augen. »Rob würde niemals einem Kind etwas antun.«
Tom schüttelte den Kopf. »Oh nein, Madam. Da täuschen Sie sich.« Langsam stand er auf und begann, sein Hemd aufzuknöpfen. »Er schlägt Sie, nicht wahr? Ich weiß, dass er es tut.« Seine Stimme war jetzt monoton. »Er hat meine Mutter geschlagen.« Er öffnete ein paar weitere Knöpfe. »Er hat mich geschlagen. Oh ja«, beharrte Tom, als Sue Ann energisch den Kopf schüttelte. »Er hat mich mit seinen Fäusten geschlagen und mich mit seinen Stiefeln getreten.« Tom schluckte, zog sein Hemd aus dem Hosenbund und legte die feinen blonden Haare frei, die auf seiner Brust zu sprießen begannen. Wieder wurde sich Max Toms Jugend und gleichzeitig seiner Reife bewusst. »Aber es wurde noch schlimmer, Sue Ann.« Er zog einen Arm aus dem Ärmel. »Eines Tages hat er meine Mutter gegen die Wand gestoßen, und sie war bewusstlos. Er wollte sie treten, und ich habe mich über sie gelegt.« Er wandte den Blick nicht von Sue Anns Gesicht. »Ich war sechs Jahre alt und hatte nur den einen Gedanken: Ich musste meine Mutter beschützen. Sie war behindert und benutzte eine Gehhilfe. Er war im Begriff, ihr die Rippen einzutreten.« Tom hob den Arm. »Sehen Sie genau hin, Sue Ann.«
Max sah hin, und beinahe hätte sich ihm der Magen umgedreht. Narben, blass und rund, zogen sich in regelmäßigen Abständen über Toms Arminnenseite, etwa fünf Zentimeter unterhalb der Schulter ab seiner Achselhöhle.
Sue Ann wurde blass und senkte den Blick auf die Tischplatte.
»Ich habe gesagt, Sie sollen genau hinschauen, Sue Ann«, fuhr Tom sie in gebieterischem Tonfall an. Sue Ann hob den Kopf, Tränen des Grauens in den Augen. »Von diesen Narben weiß meine Mom nichts. Ich verstecke sie seit Jahren. Wenn sie davon wüsste, würde sie sich hassen, und das will ich nicht. Aber hören Sie gut zu, Sue Ann. Der Mann, den Sie decken, hat mich mit einer Zigarette verbrannt, als ich versucht habe, meine Mutter zu beschützen. Ich war sechs Jahre alt. Glauben Sie wirklich, dass er Ihr Kind mit mehr Achtung behandeln wird?«
Zitternd ließ Sue Ann wieder den Kopf hängen, und eine lange, quälende Minute verstrich, während sie sich hin und her wiegte und die Arme über dem Leib verschränkt hielt, als könnte sie so ihr ungeborenes Kind beschützen. Endlich hob sie den Blick, und Max sah, dass sie bereit war aufzugeben. »Nein«, flüsterte sie heiser. »Geben Sie mir einen Stift. Ich zeichne Ihnen eine Karte, so gut ich es kann.«
Lambert stand auf und klopfte an das Spiegelfenster. Ein Beamter in Uniform erschien an der Tür, während Lambert sich herabbeugte und etwas auf seinen Notizblock schrieb. Er riss das Blatt ab, und an der Perforierung rieselten kleine Schnipsel zu Boden. »Geben Sie das hier Lieutenant Ross. Ich brauche Verstärkung für den Tatort.« Er wandte sich Max und Tom zu. »Ich fürchte, Sie werden hier bleiben müssen.«
Tom schüttelte den Kopf. »Nein, wir kommen mit. Möglicherweise bin ich der Einzige, der zu ihm durchdringen kann – wenn er wirklich so davon besessen ist, mich zu finden, wie alle sagen.«
Max erhob sich und griff nach seinem Stock. »Während wir hier noch diskutieren, könnten wir Winters’ Verhaftung schon ein Stück näher sein. Bitte, Detective Lambert, wir wollen nicht noch mehr Zeit verschwenden.«
Lambert warf ihnen einen festen Blick zu und neigte dann leicht den Kopf. »Fahren wir. Aber tun Sie nichts, was mich diese Entscheidung bereuen lässt. Wenn wir dort sind, bleiben Sie im Auto.«
Western North Carolina
Montag, 19. März, 11:30 Uhr
Sie hatte die Sache sozusagen selbst in die Hand genommen. Einen ersten Schritt gemacht, um die Beweglichkeit ihrer Hände wiederzuerlangen. Als Werkzeug diente die zackige Kante eines Fensterrahmens aus Aluminium. Sie verbrauchte kostbare Minuten, um sich windend dorthin zu rollen. Dann hatte es noch länger gedauert, bis sie sich so positioniert hatte, dass sie den Draht, der ihr die Hände auf den Rücken fesselte, über die
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