Eiskalt Ist Die Zaertlichkeit
wollte ihn nicht bedrängen.
Essen gehen können wir immer noch
, dachte sie und schüttelte ihre Enttäuschung ab. »Lassen Sie sich nach Hause bringen, Max.«
Er knirschte mit den Zähnen und stützte sich auf seinen Stock. »Nein. Wir gehen essen.«
Caroline rollte mit den Augen. Der Mann hatte einen Dickkopf, und das war sein Glück, wenn man bedachte, dass er bei seinem Sturz mit dem Kopf aufgeschlagen war. »Hören Sie, ich fahre Sie nach Hause, brutzle uns irgendetwas, und wir können trotz allem zusammen essen. Was ist denn jetzt wieder los?«, fragte sie gereizt, als er sich nicht von der Stelle rührte.
»So hatte ich den Abend nicht geplant.«
Caroline seufzte, und ihr Atem verwandelte sich in eine Dampfwolke, die ihr für einen Moment die Sicht nahm. »Pläne kann man ändern, Max. Ich bringe Sie entweder nach Hause oder zu einem Arzt. Sie haben die Wahl.«
»Sie kommandieren mich ganz schön herum.« Doch er setzte sich, immer noch auf den Stock gestützt, langsam in Bewegung.
»Das hörte ich bereits aus Quellen, die mehr Erfahrung haben als Sie. Und außerdem kann ich gut kochen.«
»Gut, fahren wir zu mir nach Hause.«
Sein Haus war altmodisch, weiß gestrichen, mit feinen Schnitzereien an den Giebeln. Auf der Veranda, die über den vorderen Teil des Hauses bis zu den Seiten verlief, bewegte sich eine Schaukel im Nachtwind. An einem der massiven Bäume im Vorgarten hing ein Reifen. Vor der Haustür brannte eine Lampe, doch im Umkreis von Meilen war kein Mensch zu sehen.
»Hübsches Haus«, sagte sie. Es war wirklich hübsch. Es war die Sorte Haus, von der sie schon immer gewusst hatte, dass es sie gab, dass normale Menschen darin lebten. Dass sich normale Menschen darin liebten. In denen Mütter ihre Kinder abends in den Schlaf wiegten und Ehemänner »Ich liebe dich« sagten und Zärtlichkeiten flüsterten und sich nicht in betrunkene Wutzustände hineinsteigerten.
Caroline parkte Max’ Wagen, blieb sitzen und betrachtete die Veranda. Sie konnte förmlich das fröhliche Kindergeschrei von früher hören. Sah beinahe die Blumen in den vernachlässigten Beeten blühen, die die Veranda säumten. Das Haus zog sie an, aber vielleicht war es die Vorstellung von Normalität, die diesen Sog auf sie ausübte. Was es auch war, sie riskierte einen gewaltigen Absturz. Der Mann, das Haus. Alles war nur eine Fantasie.
Max betrachtete Carolines Profil im weichen Licht der Lampe auf der Veranda seiner Großmutter. Sie musterte das Haus mit einem so versonnenen, so traurigen Blick, dass es seinem Herzen einen Stich versetzte. »Freut mich, dass es Ihnen gefällt. Gehen wir rein.«
Die Zufahrt war zum Glück leer.
Kein Dave, keine Ma
, dachte er erleichtert, während er seinen Hausschlüssel hervorkramte und Caroline die Tür öffnete.
Allein
, dachte er in der Dunkelheit der Eingangshalle.
Endlich.
Caroline blinzelte, als er den Schalter betätigte und der Hausflur in hellem Licht erstrahlte.
»Entschuldigen Sie, aber meine Großmutter konnte zum Schluss sehr schlecht sehen, deshalb sind alle Lampen in diesem Haus so hell.« Er zog seine Handschuhe aus und stopfte sie in seine Manteltasche. Sah, wie Caroline sich umdrehte und die Umgebung auf sich wirken ließ. Und erkannte, wie wichtig ihm ihre Reaktion war.
»Es ist schön hier, Max.« Sie ging zur gegenüberliegenden Ecke, die voller Schatten und Staub war, und folgte mit dem Finger einer Reihe von vertikalen Strichen an der Wand, die die Wachstumsstadien mehrerer Kinder anzeigten. »Sehen Sie nur. Wie süß. Welcher davon ist Ihrer?«
Max wurde warm ums Herz, als er Großmutter Hunters Wandlineal betrachtete und Carolines Gesicht, das einen weichen Ausdruck angenommen hatte. Dass das Lineal ihr beinahe auf Anhieb ins Auge gestochen war, wunderte ihn nicht im Geringsten. Sie hatte nicht auf die abblätternde Farbe oder die schreiend bunten Tapeten geachtet, sondern auf die Spuren von Geborgenheit und Liebe. Er trat zu ihr und atmete ihren Duft ein, während er über ihre Schulter hinweg auf den höchsten Strich wies.
»Der da. Das war an meinem dreizehnten Geburtstag.«
Caroline legte den Kopf in den Nacken, um zu sehen, wohin sein Finger deutete. »Etwa die gleiche Größe wie Tom zurzeit.«
Und von wem hat Tom diese Größe, Caroline?
, hätte Max gern gewusst. Doch er fragte nicht, da sie jeden Hinweis auf Toms Vater vermied und er nicht sicher war, ob er es wirklich wissen wollte.
»Ja. An diesen Tag erinnere ich mich, als wäre es
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