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Eiskalt Wie Die Suende

Eiskalt Wie Die Suende

Titel: Eiskalt Wie Die Suende Kostenlos Bücher Online Lesen
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als hier.“
    Riley musterte Nell auf eine Weise, die sie wünschen ließ, sie hätte ihren Schal niemals abgelegt – zumal, als sein Blick dann auf ihrem Dekolleté verharrte. Als er sich endlich von ihr abwandte und „Flora!“ zu einem dicken Barmädchen hinüberbrüllte, warf Nell Will einen vielsagenden Blick zu.
    Doch er lächelte nur und zuckte gleichmütig die Achseln. Sie legte sich den Schal wieder um die Schultern. Er zog ihn ihr wieder herab. „Nur nicht aus der Rolle fallen, Cornelia …“
    â€žIch muss mal eben mit Mutter sprechen“, sagte Riley zu dem Mädchen. „Pass du hier solange auf den Fusel auf – und wehe, du vergreifst dich dran.“
    â€žAber beeil dich“, meinte sie, als sie aufreizend langsam herbeigeschlendert kam. „War bislang kein guter Abend für mich, und meine Miete ist überfällig. Ich muss wieder an die Arbeit.“
    Nell und Will dicht auf den Fersen, durchquerte der Barkeeper überraschend flotten Schrittes den Saloon und blieb schließlich vor einem Zimmer im hinteren Teil des Hauses stehen – wahrscheinlich der einzige Raum, dessen Wände nicht beseitigt worden waren. „Warten Sie hier“, wies er sie an und trat durch die offene Tür.
    Das Zimmer war groß, schummrig beleuchtet und von dicht waberndem Zigarrenrauch erfüllt. An drei runden, mit Wachstuch bedeckten Tischen saßen Männer – manche mit einem Mädchen auf dem Schoß – und spielten Karten. Ansonsten befand sich nur noch ein wuchtiger Schreibtisch im Zimmer, gleich gegenüber der Tür, und dahinter saß in einem breiten, samtgepolsterten Ohrensessel die dickste Frau, die Nell je in ihrem Leben gesehen hatte.
    Ihr Körper war wie ein kolossaler Teigkloß, der aus einem ärmellosen Leinenkleid hervorquoll, das verdächtig nach Unterhemd aussah. Als Zugeständnis an Anstand und Sittsamkeit trug sie darüber ein blau gestreiftes Schürzenkleid, das ihre Körperfülle indes nur noch mehr betonte und sie zugleich wie ein monströses, aus allen Nähten platzendes Kind aussehen ließ. Ihr Rock reichte bis knapp über die Knöchel und gab den Blick frei auf die weit auseinanderstehenden Füße, die in ungeschnürten, unförmigen Männerschuhen steckten, über deren Rand schwabbelig weißes Fleisch quoll. Jung war sie zwar nicht mehr – ihr offenes Haar, braun und strähnig, war schon von etlichen grauen Strähnen durchzogen –, doch auch keineswegs alt genug, um Rileys Mutter zu sein.
    â€žMutter Nabby“, sagte Riley und nickte zum Gruß, als er an ihren Sessel trat. Er beugte sich zu ihr hinab, doch sprach er zu leise, als dass Nell seine Worte über den lärmenden Applaus, der nun von der Tanzfläche zu ihnen herüberdrang, hätte verstehen können. Eben kündigte der Schnulzensänger an, dass er als Nächstes „Molly! Do You Love Me?“ zum Besten geben würde, woraufhin einzelne Rufe ertönten, die nach „Beautiful Dreamer“ verlangten. „Nun, da beugen wir uns natürlich ganz den Wünschen des werten Publikums“, meinte er charmant und begann stattdessen dieses Lied zu singen, nachdem der Pianist die ersten Takte angeschlagen hatte.
    Riley sah zu ihnen hinüber, ebenso Mutter Nabby. Ihre winzigen Augen, wie zwei Rosinen, die man in die teigig glänzende Masse ihres Gesichts gedrückt hatte, waren mit nüchtern prüfendem Blick auf sie gerichtet. Sie hob eine Tonpfeife an die Lippen, paffte nachdenklich und blies eine Rauchwolke aus. Mit einem Schlüssel, den sie an einer Schnur um den Hals trug, schloss sie eine der Schreibtischschubladen auf, wobei ihre massigen Arme bei jeder noch so kleinen Bewegung wie Gallert schwabbelten, und holte einen Schlüsselring in Form eines Ankers heraus, an dem zwei große alte Eisenschlüssel hingen. Als sie Riley den Bund gab, sagte sie etwas zu ihm.
    â€žDenny!“, brüllte Riley daraufhin.
    Ein Junge, der Nell zuvor gar nicht aufgefallen war, sprang in einer Ecke des Zimmers vom Boden auf. In der Hand hielt er ein Buch. Ein schlaksiger Halbwüchsiger, vielleicht vierzehn, mit zu langem, zerzaustem Haar und schäbigen Kleidern. Eigentlich ein gut aussehender Bursche, obwohl er nur Haut und Knochen war und eine verunstaltete Nase hatte, die wahrscheinlich von einem schlecht verheilten Bruch herrühren

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