Eiskalt Wie Die Suende
dafür noch mal ordentlich was ab. SchlieÃlich kommt die Einladung, sich doch in eines der Separees zurückzuziehen, wo man sich in Ruhe vergnügen könne, was ihn den allerletzten Rest dessen kosten wird, was sich noch in seiner Brieftasche findet. Beim Kartenspiel wird betrogen, ebenso beim Boxen â¦â
âBeim Boxen?â
âEin oder zwei Abende die Woche wird die Tanzfläche in einen Boxring verwandelt, wo dann mit bloÃen Fäusten gekämpft wird. An den übrigen Abenden gibt es einfach nur Tanz und Musik.â
Er führte sie zu einigen gerahmten Porträtfotografien, die schon etwas angestaubt in einem der vorderen Fenster ausgehängt waren, sodass man sie sich von der StraÃe aus im Schein der Laterne anschauen konnte. Die obere Reihe zeigte Bildnisse von kräftig gebauten Männern, die mit nacktem Oberkörper und erhobenen Fäusten grimmig in die Kamera schauten. Am unteren Rand jeden Bildes stand in krakeliger Schrift ein Name geschrieben: Phelix McCann, Davey Kerr, Pat âBulldogâ Cunigan, Jimmy Muldoon, Finn âSouthpawâ Cassidy, Johnny Cassidy â¦
âSieh nurâ, meinte Nell und zeigte auf die Fotografien der beiden Cassidys, die einander auffallend ähnlich sahen, wenngleich der eine dunkles Haar hatte und der andere blond war. Der Dunkelhaarige â es war der jüngst verstorbene Johnny â posierte in lauernder Boxerstellung, die Fäuste auf Höhe des Gesichts zum Schlag bereit. Er hatte nicht in das Objektiv geblickt, und die Ansicht im Dreiviertelprofil betonte noch seine wuchtige Stirn und die starken Wangenknochen. Finn Cassidy, der zwar dieselben verwegenen Gesichtszüge hatte, war bedeutend schwerer als Johnny, ein Schrank von einem Mann, ein wahrer Koloss aus Muskeln, mit kleinen Augen, die unter der tiefen Stirn schier verschwanden. Beide Männer dürften wohl so Mitte dreiÃig sein.
âBrüder?â, fragte Nell.
âSieht so aus. Und das müssen die Mädchen sein, die hier arbeiten.â Will zeigte auf das gute Dutzend Fotografien, die unter den Bildern der Boxer hingen. Es waren Ganzkörperporträts junger, aufreizend gekleideter Frauen â manche trugen gar nur ihre Unterkleider â, die sich in verführerischen Posen hatten ablichten lassen. Beschriftet waren sie jeweils nur mit den Vornamen der Mädchen: Flora, Ivy, May, Pru, Fanny, Elsie, Mary â¦
âGlaubst du, das könnte Mary Molloy sein?â, fragte Nell und zeigte auf das Bild.
âZumindest ist sie die einzige Mary.â
âMir war nicht klar, dass sie hier arbeitet.â
âMir schon.â
Das Mädchen auf der Fotografie wirkte noch jung, sehr jung sogar. Verstärkt wurde dieser Eindruck noch durch ihre zierliche Statur und die kindliche Kleidung. In auffallendem Gegensatz zu den anderen Mädchen trug sie ein artiges Kleid mit weiÃem Kragen, das ihr bis an die Waden reichte und den Blick auf ein Paar zierliche schwarze Stiefel, weiÃe Strümpfe und den berüschten Saum ihres Unterrocks freigab. Ihre Oberweite war bescheiden, doch ihr Gesicht das eines Engels, mit groÃen hellen Augen, einer kleinen Stupsnase und sinnlich geschwungenen Lippen. Ihr Haar, von dem Nell aufgrund ihrer Sommersprossen annahm, dass es wohl rot sein dürfte, fiel ihr in üppigen Locken über die Schultern.
âEigentlich sieht sie nicht so aus, als wäre sie bereits alt genug, um mit einem Mann zusammenzulebenâ, bemerkte Nell, âganz zu schweigen von ⦠Nun ja, gewiss gehe ich recht in der Annahme, dass diese Frauen allesamt Prostituierte sind.â
âManche Männer haben eine Vorliebe für junge Mädchenâ, sagte Will. âOft sind diese Männer selbst recht unreif, und es gefällt ihnen, Macht über jemanden zu haben, der noch schwächer ist, als sie es sind.â
âIch finde es verwunderlich, dass Johnny Cassidy es geduldet hat, dass sie sich an andere Männer verkauft.â
âGut möglich, dass es sogar seine Idee warâ, sagte Will. âLeicht verdientes Geld.â
âFür ihn, ja.â
Will lieà ihr den Vortritt, als sie zur Tür gingen. Dort hielt ein muskulöser, rotblonder Mann, der eine Tweedweste, aber keine Jacke trug, sie mit erhobener Hand zurück. Um sein Auge war schwach ein Bluterguss zu erkennen, an der Stirn hatte er eine Prellung, die noch jüngeren Datums sein dürfte. Nell
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