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Eiskalt Wie Die Suende

Eiskalt Wie Die Suende

Titel: Eiskalt Wie Die Suende Kostenlos Bücher Online Lesen
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beiden Gebäude, in denen sich die Gefangenen mit Steinmetzarbeiten der Gesellschaft nützlich erwiesen. Im Schatten eines weit ausladenden Baumes standen zwei uniformierte Wachen und rauchten ihre Zigaretten. Einer der beiden war der Wachmann, der ihr vorhin versichert habe, er würde in Hörweite auf dem Flur bleiben, falls sie seine Hilfe brauche.
    Nein, sie würde niemals vergessen, wie selbstlos Duncan seine Freiheit verspielt hatte, um sie zu beschützen. Wie könnte sie?
    Aber ebenso wenig konnte sie seine Wutanfälle vergessen und seine Schläge – und jenen letzten, so gewaltsamen Übergriff, der bei ihr eine Fehlgeburt ausgelöst hatte, deren Komplikationen sie beinahe nicht überlebt hätte. Wäre Dr. Cyril Greaves nicht gewesen, würde sie wohl heute nicht hier sitzen und versuchen, Duncan zur Einsicht zu bewegen.
    Dr. Greaves hatte ihr nicht nur das Leben gerettet, während Fieber in ihrem Körper gewütet und eine schwere Entzündung ihre Gebärmutter befallen hatte. Nein, er hatte sie bei sich aufgenommen, hatte sie zur Krankenschwester ausgebildet, sie Geschichte und Französisch gelehrt, ihr Interesse an Oper, Kunst und Literatur geweckt, er hatte ihr beigebracht, wie man Briefe schrieb, sich in guter Gesellschaft bewegte und vieles mehr. Als sie schließlich sein Bett zu teilen begann, hatte sie dies gern getan und voll der tiefen Dankbarkeit. Er hatte ihr nicht nur das Leben gerettet, sondern sie ganz neu erschaffen. Nichts erinnerte mehr daran, wer sie einst gewesen war, und so war es auch nicht verwunderlich, dass Viola Hewitt sich ohne zu zögern für Nell entschieden hatte, als sie jemanden brauchte, sich um ihr adoptiertes Kind zu kümmern.
    Jeden Abend vor dem Schlafengehen sprach Nell ein Dankgebet zu Gott, dass er ihr Gracie geschenkt hatte. Ohne das kleine Mädchen, das ihr wie ihr eigenes Kind geworden war, würde ihr Leben trostlos und leer sein, sähe sie Jahrzehnten der Kinderlosigkeit entgegen. Sie hatte sich immer schon Kinder gewünscht, auch als sie selbst noch ganz klein war. „Du bist dazu geboren“, hatte ihre Mutter immer gemeint, wenn sie ihre Tochter dabei beobachtete, wie sie ihre aus Lumpen selbst gemachte Stoffpuppe fütterte, windelte und hätschelte. So sehr bemutterte und umhegte sie ihre Puppe, dass die auch nach etlichen Versuchen, sie zu flicken und zu stopfen, sich unter ihrer steten liebevollen Zuwendung irgendwann in ihre Bestandteile auflöste. Aber da hatte Nell auch schon Tess gehabt, ihre kleine Schwester, um die zu kümmern ihr zugefallen war, nachdem die Cholera ihre Mutter und fast alle ihre Geschwister dahingerafft hatte. Tess, ihre süße, kleine, geliebte Tess, war gerade mal drei Jahre alt gewesen, als sie im Armenhaus von Barnstable an Diphtherie gestorben war. Ihr Tod hatte Nell zutiefst mitgenommen, und sie hatte sich so einsam und verloren gefühlt … bis sie Duncan begegnet war.
    Ihre Mutter hatte recht – sie war dazu geboren, selbst Mutter zu sein. Es war, wonach sie sich immer aus tiefstem Herzen gesehnt hatte, es war das tiefste, ursprünglichste Verlangen, das sie jemals empfunden hatte. Kurzum, sie war dazu bestimmt, es war ihr Schicksal – ein Schicksal, das Duncan Sweeney mit seinem letzten heimtückischen, unverzeihlichen Übergriff zunichtegemacht hatte.
    Es war unverzeihlich gewesen – ganz gleich, was die Kirche von Reue und Vergebung predigte. „Vergib uns unsere Schuld“, betete Nell jeden Morgen, „wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“ Denn sie war durchaus willens zu verzeihen – mit einer Ausnahme.
    â€žWenn du mir so dankbar bist und nie vergessen wirst, was ich für dich getan habe“, sagte Duncan nun, „wie kannst du dich dann von mir scheiden lassen woll’n?“
    Ihren Blick noch immer aus dem Fenster gerichtet, sagte sie leise: „Weil es sehr viel gibt, das ich nicht vergessen kann, Duncan.“
    Du willst abhauen? Du kannst abhauen, wenn ich mit dir fertig bin! Sie zwang sich dazu, es noch einmal zu durchleben – seine Schläge und Tritte, den Stich mit dem Messer, das furchtbare Entsetzen, als er ihr das Mieder aufriss und ihre Röcke zurückraffte. Das wird dir wehtun, hatte er geknurrt. Und es hatte wehgetan. Es hatte ganz entsetzlich wehgetan.
    Es hatte ihr Kind umgebracht.
    â€žTut mir leid, Nell“, sagte er zerknirscht. „Ich kann das nie

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