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Eiskalt Wie Die Suende

Eiskalt Wie Die Suende

Titel: Eiskalt Wie Die Suende Kostenlos Bücher Online Lesen
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Zimmer, oder besser gesagt in Gracies Zimmer, um etwas Geld zu holen, mit dem er notfalls den Portier des Somerset Club bestechen könnte, falls sein ehrwürdiger Stammbaum allein ihm doch nicht alle Türen öffnen sollte.
    Nell lehnte am Türrahmen und betrachtete Wills Abbild in dem riesigen goldgerahmten Spiegel, während er die Schnallen seiner krokodilledernen Arzttasche öffnete, in der er seine Spielgewinne verwahrte. Er sah geradezu unverschämt gut aus, mit seiner hochgewachsenen Gestalt, den dunklen, leidenschaftlichen Augen, dieser schlanken, maskulinen Anmut.
    Am frühen Morgen, nachdem sie eine Weile wach gelegen und Wills schläfrigen Atemzügen gelauscht hatte, war Nell aufgestanden und auf bloßen Füßen leise zum Durchgang zwischen den beiden Zimmern geschlichen. Die glutrote Morgenröte, die durch die Vorhänge hereindrang, hatte die linnenverhüllten Möbel in ein überirdisches Licht getaucht, hatte sie fast wie schneebedeckte Berggipfel aussehen lassen, über denen die Sonne aufging. Auf dem Teppich neben dem Bett hatte Wills weiße Leinenunterhose gelegen, die er vor dem Schlafengehen achtlos abgestreift hatte.
    Die zarten Spitzenvorhänge um Gracies Bett waren zurückgebunden, sodass Nell Will ungestört betrachten konnte, wie er auf dem Bauch lag, das Laken um eines seiner langen Beine geschlungen. Das entblößte Bein – es war das rechte – war jenes mit der tiefen vernarbten Wunde, die sich quer über den Oberschenkel zog. Er hatte sie von einer Schussverletzung zurückbehalten, welche er sich auf der Flucht aus dem Gefangenenlager von Andersonville zugezogen und die Gewehrkugel unterwegs selbst herausoperiert hatte.
    Sein Gesicht war Nell zugewandt. Dunkle Haarsträhnen hingen ihm in die Augen, und sein Mund stand halb offen, was ihm ein fast kindlich unschuldiges Aussehen verlieh, das in auffallendem Gegensatz stand zu seinem sehnigen, versehrten Körper. Nur mit Mühe hatte sie dem Impuls widerstehen können, an sein Bett zu treten und ihm das Haar aus der Stirn zu streichen. Hätte sie das getan, wäre er aufgewacht, und es war undenkbar, ganz und gar undenkbar, dass sie nur in ihrem dünnen Nachthemd an seinem Bett stand und ihn, der unbekleidet dort lag, berührte.
    Ganz und gar undenkbar.
    â€žNell? Was meinst du dazu?“
    â€žÃ„hm … entschuldige, aber ich war …“
    â€žGlaubst du nicht auch, dass, sollte dieser Fall vor Gericht kommen, Cooks Vergangenheit ein gefundenes Fressen für die Anklage sein wird? Brian O’Donaghs rechte Hand gewesen zu sein wäre wohl allein schon schlimm genug, aber er hat zudem noch auf einen Mann geschossen, weil der eine Frau misshandelt hat – was doch große Ähnlichkeit zu den Ereignissen aufweist, wie sie sich aller Wahrscheinlichkeit auch am Dienstagabend zugetragen haben.“
    Nell sah ihn scharf an.
    â€žSo dürfte es zumindest der Staatsanwalt sehen“, beeilte Will sich hinzuzufügen, als er ihren Blick im Spiegel auffing und mit einem beschwichtigenden Lächeln erwiderte.
    â€žIch habe gleich gemerkt, dass Chloe uns gestern etwas verschwiegen hatte“, meinte Nell. „Sie hat uns glauben lassen, dass sie Cook kaum gekannt hätte, als er von Pennsylvania nach Boston kam, und uns erzählt, sie hätten sich durch ‚gemeinsame Bekannte‘ kennengelernt.“
    â€žNicht unbedingt eine Lüge, das mit den gemeinsamen Bekannten“, befand Will großmütig, „aber doch eine recht geschickte Ausflucht vor der Wahrheit. Sie wollte wahrscheinlich nicht, dass wir davon erfahren. Denn hätten wir gewusst, dass ihr Mann einst auf Daniel Duffy geschossen hatte, so stand wohl zu befürchten, dass wir zu derselben Schlussfolgerung gelangt wären, zu der auch die Geschworenen gelangen dürften – wenn Colin Cook einmal auf einen Mann geschossen hat, der eine Frau misshandelt hat, dann kann er es bestimmt auch ein zweites Mal getan haben.“
    â€žGlaubst du denn, dass er es getan hat, Will?“, fragte sie.
    Er wandte sich zu ihr um und sagte: „Ich respektiere dich zu sehr, als dass ich dich anlügen und behaupten würde, dass ich es für gänzlich ausgeschlossen hielte.“
    Ein verzweifeltes Schluchzen stieg in ihr auf. „Oh, wie furchtbar das alles ist!“
    â€žIch weiß“, sagte er leise, trat neben sie und schloss seine Hand um ihren Arm.

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