Eiskalte Ekstase - ein Frankfurt-Thriller
Position.«
Stefan hebt den Kopf, steht auf und setzt sich ohne Umschweife auf den schwarzen Plastikstuhl – erleichtert, die nun völlig emotionslos klingende Stimme wieder weit hinter sich zu wissen.
»Unser Experiment ist noch nicht beendet.«
Tastaturklappern. Der Laptopmonitor vorübergehend schwarz. Einfügen eines Textfeldes, mittig und Bildschirm füllend platziert. Buchstabenfarbe: scharlachrot.
An die Sklaven des Lichts!
Kurz einblenden und wieder ausblenden.
Kein Gott will, dass ihr ihn für eure Nächsten um Hilfe anfleht, sondern dass IHR hingeht und helft!
Fünf Sekunden halten. Ausblenden. Zurück auf Kamerabildmodus. Aufnahme, Laborraum zwei. Heranzoomen der von den Stromstößen deutlich gezeichneten Schülerin.
»Stella, mein Engel, glaub mir, es ist nun wirklich an der Zeit, dass du uns dein volles Potenzial zeigst. Hier kommt die nächste Wortkette. Bitte hör genau zu.«
Samira öffnet den Mund. Widersteht der Versuchung, sich abermals umzudrehen und lautstark zu protestieren. Hinter ihrer Stirn eine diffuse Geräuschsuppe aus Pfeiftönen und Hämmern. Sie kann es nicht glauben – aber die Stimme, sieklingt tatsächlich völlig unbeteiligt. Unbeteiligt und nüchterner als die eines gelangweilten Angestellten in irgendeinem Auskunftsbüro. Instinktiv presst Samira ihre Hände gegen die Schläfen, um die grellen Farbballons auszusperren, die hinter den Lidern ihrer geschlossenen Augen platzen. Und das Summen in ihrem Kopf, das dem einer Armee von dicken Hummeln gleicht. Stefan klammert sich an der Tischkante fest, den Blick starr auf das schwer verletzte, reglose Mädchen in dem Stuhl gerichtet.
»Ich halte es dieses Mal auch betont einfach, also bitte, enttäusch uns nicht. Achtung, es geht los, Schätzchen. Sonne, Mond, Laterne, Licht.«
»Sonne, Mond, Laterne, Licht«, wiederholen Stefans Lippen tonlos, die Augen wie hypnotisch auf Stellas herabhängenden Kopf gerichtet.
»Und hier kommt die Testsequenz.« Wieder diese nüchterne Stimme. Wie von einer Telefonauskunft. Doch dann ein abrupter Wechsel: »Schmerz. Narbe. Wahrheit. Licht!«
Stefans Kopf schnellt nach hinten. Nach hinten in die diffuse Dunkelheit, aus der die vier Worte nach vorne geschleudert worden sind wie die Giftpfeile aus dem Bogen eines vor Zorn rasenden Schützen. Er sieht wieder zu Stella hin, die nach wie vor reglos und nur von den Fesseln gehalten in dem Stuhl liegt. Samira presst ihre Fäuste gegen den Unterkiefer, am ganzen Leib zitternd, die mit Lidschatten und Wimperntusche verschmierten Augenlider geschlossen.
»Stella, deine Mitarbeit lässt nach wie vor sehr zu wünschen übrig.« Auskunftsbüro. »Um die Geduld unseres nach dem Finale gierenden Publikums nicht übermäßig zu strapazieren, gebe ich dir noch genau eine Chance. Ich wiederhole die Testsequenz. Und du drückst auf den Knopf. Achtung.« Pause. Dann erneut die Wörter, wie von Artillerie abgefeuert: »Schmerz! Narbe! Wahrheit! Licht!«
Nichts. Der Signalkasten bleibt dunkel.
Stella bewegt sich nicht. Stefan und Samira sitzen stocksteif da. Keiner wagt auch nur zu atmen.
»Kaspar Hauser, Kippschalter XXX. Und. Zwar. Jetzt. Sofort!«
Stefan legt die Hand an den Schalter ganz rechts. Senkt den Kopf, Tränen in den Augen.
»Was ist, schaffen Sie es allein?« Metallisches Klicken. »Oder muss. Ich. Wieder. Erst. NACHHELFEN?!«
An Samiras Wangen stürzen die Tränen herab. Stefan lässt den Kopf ganz auf die Brust sinken – und reißt den Kippschalter runter. Der Schockgenerator fängt an zu brummen. Wird lauter. Immer lauter. Stellas Körper bäumt sich auf. In ruckartigen Schüben. Wieder und wieder. Bis ihr Leib in einem Krampf erstarrt. Aus ihrem Mund quillt blutiger Schaum. Die Urin- und Fäkalienlache auf dem Boden wächst. Und wächst. Samira sieht die Brandblasen auf den nackten Unterarmen des sterbenden Mädchens. Und heult. Hemmungslos.
Jeanne d’Arc ist ein Mythos! , zeigt das eingeblendete neue Textfeld am oberen Rand des Laptopmonitors. Und dann: Der Mensch ist nur so gut, wie man es ihm erlaubt.
Wechsel des Bildes zurück zu Stella. Ihr Gesicht ist von Brandblasen entstellt. Aus ihrem Schädel steigen kleine Rauchschwaden nach oben. Der Generator brummt, zweitausend Volt. Und verstummt dann plötzlich.
Stille. Unterbrochen nur von dem leisen Knistern aus dem Raum mit dem toten Mädchen. Stefan hebt vorsichtig den Kopf. Riecht verbranntes Fleisch. Sieht den zerstörten Körper. Und schaut wieder weg, wie von einem
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