Eiskalte Hand
manch einer gab auch einen herben Kommentar zum Besten. Über Nacht war er vollends zum Gespött der Garnison geworden. Der junge Beschwörer konzentrierte sich ganz auf seinen Steinkoloss. Er war der Gottheit Nanju nachempfunden: ein muskulöser Menschenkörper mit vier Armen und einem dritten Auge auf der Stirn. Die Statue entsprach bei weitem nicht dem Standard, den er aus Quandala kannte. Kein Granit, sondern einfacher Fels. Auch erreichte sie längst nicht die Höhe und das Gewicht der formidablen Kolosse, die den Kaiserpalast bewachten. Aber für ein paar Grünhäute sollte es wohl reichen. Zumal sechs von diesem Kaliber eine kleine Streitmacht für sich darstellten. Irgendwie fühlte Ranja auch ein wenig Stolz in sich. Er lenkte eine tödliche Waffe, und er würde den anderen Beschwörern zeigen, wie gut er das vermochte. Bald würde keiner mehr über ihn lachen.
Laut lachend ritt Huan an der Spitze der leichten Kavallerie aus dem Tor. Sein Adjutant hatte ihm gerade etwas Amüsantes erzählt. Die Reiterei, die er befehligte, war von ihm selbst handverlesen. Soldaten, auf die er sich zu hundert Prozent verlassen konnte. Und er brannte regelrecht darauf, endlich mit ihnen in die Schlacht zu reiten und den Tod zu den Gegnern zu bringen. Als der Hauptmann am Abend die Marschbefehle ausgegeben hatte, war er zunächst ein wenig irritiert; denn der Befehlshaber der Garnison wollte die Armee nicht selbst anführen. Gehörte sich das nicht so? Er habe wichtige und unaufschiebbare Dinge in der Hauptstadt selbst zu regeln, gab er an. Doch sein Stellvertreter, Oberst Halit, würde die Truppe zu einem denkwürdigen Sieg führen. Huan war es gewohnt, Befehle zu befolgen. Also machte er sich keine weiteren Gedanken darüber. Der Hauptmann wusste schon, was er tat – auch wenn die strategischen Künsten Halits Huan nicht so sehr überzeugten.
Voller Euphorie blickte er auf die Truppen vor ihm. Die beiden Infanterie-Einheiten, die auf die Bogenschützen folgten und den Kern ihrer Truppe bildeten. Dazu der ganze Stolz ihrer Garnison: ein Flammenwerfer-Wagen, der direkt neben ihm und seiner Reiterei fuhr. Immer wieder schaute er voller Respekt hinüber zu der tödlichen Waffe und erinnerte sich zugleich, dass die Grünhäute auch zwei davon in ihren Reihen hatten. Das würde einen heißen Tanz geben. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Mia lief der Schweiß aus allen Poren. „Verdammte Hitze!“, stöhnte sie und beneidete die Bewohner des Dorfes dafür, dass sie offenbar daran gewohnt waren. Ihr dunkles Kleid klebte an ihr. Kein schönes Gefühl. Obwohl sie offensichtlich neugierig waren, hielten sich die Dorfbewohner mit Fragen zurück. Nur die Gastwirtin hatte Mia gefragt, was sie in dieser Gegend suchte. „Familienangelegenheiten.“ Mit der kurzen Antwort gab sich die Frau zufrieden. Zumindest stellte sie Mia keine weiteren Fragen mehr. Der Heerzug hatte mittlerweile das Dorf hinter sich gelassen und marschierte in Richtung Norden. Dort schien es eine größere Ansammlung von Grünhäuten zu geben. Das hatte sie den Kommentaren der Dorfbewohner entnommen. Die junge Frau grinste. Für ein Gemetzel war sie auch immer zu haben. Aber im Moment hatte sie anderes zu erledigen. Und ihre Zeiten als Soldatin lagen längst hinter ihr.
Kapitel 14
Sie saßen jetzt schon seit eineinhalb Stunden auf der Bank hinter dem Haus. Ein buntes Sonnendach sorgte für den nötigen Schatten. In einem kleinen Beet, das er intensiv bewässerte, hatte der Alte sogar ein wenig Gemüse angepflanzt. Trotzdem wunderte Mia sich, dass es in der heißen Erde überhaupt wuchs. Mia hatte Glück gehabt. So Chi lebte noch und wohnte immer noch hier in Wan La. Die Überraschung stand ihm ins Gesicht geschrieben, als Mia von ihrem Anliegen erzählte. Langsam stiegen die alten Erinnerungen in ihm auf. Fast so, als durchlebte er jene tragische Nacht noch einmal. Denn, so erfuhr Mia bald von ihm, er hatte sich sehr wohl im Haus befunden, als das Unglück geschah. Zu seiner eigenen Sicherheit hatte er hinterher die Geschichte von dem Besuch bei seiner Familie in Umlauf gebracht – aus Angst, dass die Mörder auch ihn holen würden.
Die junge Frau benötigte ein wenig Zeit und Überredungskunst, um das Vertrauen des Mannes zu gewinnen. Ein hagerer Typ, vielleicht etwas mehr als 50 Jahre alt. Seine Hände waren ungewöhnlich groß und schwielig – genau so, wie man es von einem Korbmacher erwartete. Damit verdiente er hier seinen
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