Eiskalte Rache: Thriller (German Edition)
sei es schon lange her, dass Weihnachten als Gedenken an Jesu Geburt gefeiert werde. Mittlerweile handele es sich eher um ein Fest der Familie. Warum gefeiert werde, sei nicht so wichtig. Sie schnaubte nur verächtlich, was er als ungerecht empfand. Schließlich erzählte sie, sie sei nicht sonderlich religiös. Er erinnerte sich noch deutlich an den ersten Abend, als er gezögert hatte, ihr Wein anzubieten. Da hatte sie nur gelacht, sich selbst bedient und es sich schmecken lassen. Wie hätte er wissen sollen, dass Weihnachten ein wunder Punkt war?
Er ging etwas im Wohnzimmer auf und ab und dachte darüber nach, was er tun sollte. Es fiel ihm jedoch schwer, sich zu konzentrieren. Das Zimmer war hell und spärlich, fast minimalistisch, möbliert. Er bezeichnete das gerne als Japan-inspiriert, aber die wenigen Leute, die ihn besuchten, lobten ihn für seinen konsequenten skandinavischen Einrichtungsstil.
Auf den Sekretär aus Birkenholz hatte er seinen ganzen Stolz gestellt, den japanischen Ahorn, den er einige Jahre lang gehegt, umwickelt und gezähmt hatte und der jetzt immer mehr wie der Bonsai aussah, den er sich vorgestellt hatte. Ein Blatt hatte sich etwas verfärbt. Er betrachtete es lange, kam dann aber zu dem Schluss, dass es sich vermutlich nicht um eine Krankheit handelte. Vielleicht goss er den Baum zu wenig. Oder zu viel? Er bedachte die Pflanze mit ein paar aufmunternden Worten, ließ sie dann aber in Frieden. Vermutlich war alles in Ordnung.
Plötzlich spürte er einen Schmerz im Nacken. Ihm wurde bewusst, dass er seine Schultern verspannt hatte. Er versuchte, sie zu lockern, was ihm aber nicht richtig gelang. Langsam ließ er den Kopf kreisen, um die Sehnen und Muskeln zu entspannen.
Aber es tat nur weh.
Er fand ihn im Schlafzimmerschrank unter einem Stapel ausrangierter Pullover mit merkwürdigen Mustern und zog ihn an. Der Judoanzug mit dem weißen Gürtel saß weit und bequem, aber er kam sich etwas dumm vor. Ein erwachsener Mann, der zu Hause in einem weißen Kampfsportanzug herumlief, kann nicht ganz normal sein, dachte er, musste sich dann aber beschämt eingestehen, dass es sehr angenehm war. Linda hatte ihm den Anzug vor etlichen Jahren zusammen mit einem üppig illustrierten Buch über Yoga geschenkt. Das war in seiner ganz intensiven Japan-Phase gewesen. Er hatte versucht, die Bewegungen im Buch nachzuahmen, aber immer hatte es ihm anschließend irgendwo weh getan. Es war ihm nicht einmal annähernd gelungen, sich so mühelos wie die Person auf den Bildern zu verrenken. Der Judoanzug war also nach kurzer Zeit in den Schrank gewandert, und dort hatte er bis jetzt gelegen.
Nachdem er nach einer Weile das Gefühl überwunden hatte, sich wie ein Idiot zu benehmen, kniete er sich auf den Fußboden und setzte sich auf seine Fersen. Es schmerzte. Die darauffolgenden Positionen im Schneidersitz und in der Hocke waren auch kein Erfolg.
Ich werde wirklich alt, dachte er.
Er erhob sich und blieb dann einfach mit geschlossenen Augen stehen, atmete langsam und versuchte, sich auf einen hellen Fleck weit innen in seinem Körper zu konzentrieren.
Es ging nicht.
Die Eindrücke der Haussuchung gingen ihm immer wieder durch den Kopf. Die schmutzige Matratze. Die Bilder mit Motiven aus der nordischen Mythologie. Der hinterste Raum erinnerte an ein Klassenzimmer mit Schulbänken, die hundert Jahre alt zu sein schienen. Ein Whiteboard und Fahnen mit Nazisymbolen hingen an der Wand. In den Regalen standen Bücher.
Er versuchte, sich auf sein inneres Licht zu fokussieren, aber es gelang ihm nicht. Seine Gedanken kreisten um den Abend vor der Vergewaltigung.
Ein Fest. Fünf Männer. Eine junge Frau. Die Polizei eilte ihr zur Hilfe, jedoch zu spät.
Er konzentrierte sich wieder. Was war geschehen?
Sechs Personen, alle auf ihre Art in das Geschehen verwickelt. Dann kam die Polizei.
Er öffnete langsam die Augen, fuhr sich sachte über die Wange und spürte die Bartstoppeln. Seine umherirrenden Gedanken wichen einem klaren Bewusstsein.
Sechs Personen in einem Raum. Keine Zeugen … Dann kam die Polizei. Warum? Woher hatte die Polizei wissen können, was geschehen war?
Er war so in diesen neuen Gedanken vertieft, dass er erst nicht hörte, wie es an der Tür klingelte. Aber das zweite, lang anhaltende Klingeln drang zu ihm durch und verkündete, dass ihn jemand besuchen wollte. Vielleicht Nahid oder die Mädchen? Er eilte zur Haustür.
Es war keine von ihnen. Ein Mann im Mantel stand auf der Treppe,
Weitere Kostenlose Bücher