Eiskalte Rache: Thriller (German Edition)
jetzt nass und grau. Levin trat gegen einen Schneewall, der Fuß sank im Matsch ein, und Wasser lief ihr in den Schuh, was ihr jedoch gleichgültig war. In Gedanken war sie bereits bei den Dingen, die jetzt zu tun waren. Sie hatte jedoch Bedenken und hätte alles gerne aufgeschoben. Es war lange her, dass sie jemanden vernommen hatte, außerdem hatten Vernehmungen nie zu ihren Stärken gehört. Aber Ellen Brandt war unerbittlich gewesen. Sie hatte darauf hingewiesen, dass es nicht darum ging, einen Verdächtigen zu verhören. Sie musste sich nur in ihren Wagen setzen, eine knappe Stunde gen Norden fahren und sich eine Weile mit einem Mann unterhalten. Als ob das so viel einfacher wäre. Die Ermittler benötigten Hintergrundmaterial, und sonst hatte niemand Zeit. Sie habe auch keine, hatte sie gemeint, aber das hatte ihr nichts genützt. Nicht einmal Holtz hatte ihr beigestanden, was ihr unbegreiflich war. Er hatte die Angelegenheit gar nicht erst diskutiert, sondern sie einfach gebeten, auszuführen, was Ellen ihr aufgetragen habe. »Ein wenig Abwechslung tut dir gut«, hatte er hinzugefügt.
Levin trat nochmals gegen einen Schneehaufen, und ein Berg aus Schneematsch rutschte in das dunkle Wasser des Kanals. In Gedanken versunken ging sie weiter am Ufer entlang. Der Kanal lag nur ein paar Haltestellen von ihrer Wohnung entfernt. Sie ging immer dorthin, wenn sie nachdenken musste. Manchmal spazierte sie stundenlang an der schmalen Wasserstraße entlang, gelegentlich aber auch nur kurz, um einen klaren Kopf zu bekommen.
Die Ermittlung im Mordfall Johan Seger alias Styrbjörn Midvinter schien nicht vom Fleck zu kommen. Sie hatten den Ort, an dem der Schütze gestanden hatte, nicht gefunden, es gab keine Mordwaffe, keinen Verdächtigen und kein klares Motiv, aber unzählige Theorien. An Feinden hatte es Midvinter wirklich nicht gemangelt. Die Ermittlung verfolgte keine klare Linie, deshalb wussten die Kriminaltechniker nicht, worauf sie sich konzentrieren sollten. Die Analyse der Gegenstände aus dem Adlerhorst und die weitere Analyse sämtlicher Spuren vom Tatort hatten warten müssen, da sich die Prioritäten ständig änderten. Holtz hatte entschieden, dass keine Analysen durchgeführt werden sollten, sofern sie nicht die Vergewaltigung betrafen, solange sich die Leitung des Kriminaldezernates in die Ermittlung einmischte. Der Chef der Ermittlungsabteilung war wie immer eingeknickt und tat alles, um die Launen von C. zufriedenzustellen.
»Wir sammeln weiterhin Material, aber die Analysen müssen warten. Sonst werden wir und das GFFC von Resultaten, die uns nicht weiterhelfen, überschwemmt«, hatte Holtz gesagt.
Ein einzelnes Boot lag an der Brücke über den Kanal vertäut. Es war fast bis auf den Grund gesunken, eine Kette, die an einem der Brückenpfeiler befestigt war, hielt den Bug knapp über der Wasseroberfläche. Das Boot sah teuer und recht neu aus. Wie kann man ein Boot nur so vernachlässigen? Erst machte man sich die Mühe, es mit einer stabilen Kette und einem guten Schloss festzuschließen, um es dann seinem Schicksal zu überlassen, dachte sie.
Außer ihr war fast niemand unterwegs. Es war um null Grad und das Wetter alles andere als einladend. Vielleicht also nicht sonderlich verwunderlich. Die Sonne war nicht zu sehen, und die feuchte Luft drang einem unter die Kleider. Ein Mann und eine Frau Anfang fünfzig näherten sich ihr Hand in Hand. Sie hatten nur Augen füreinander. Die könnten doch gut zu Hause bleiben und etwas anderes tun, dachte Levin, als sie an ihr vorbeigingen, ohne sie weiter zu beachten.
Plötzlich nahm sie den Geruch von Zigarettenrauch wahr.
Sie sah sich um. Das Paar hatte sich mittlerweile ein gutes Stück entfernt, und sie glaubte nicht, dass einer der beiden rauchte. Jedenfalls hatte sie keine Zigarette gesehen. Sie hielt inne und schaute sich um. Kein Mensch zu sehen. Der leere Fußballplatz mit dem orangefarbenen Licht und der Überfall im Wald kamen ihr in den Sinn. Sie erinnerte sich, wie sie mit der Kollegin das ganze Areal abgesucht hatte, ohne Zigarettenkippen oder andere Spuren zu finden. Ich muss nachfragen, ob sich über die Person, die mich überfallen hat, etwas Neues ergeben hat, dachte sie. Dann nahmen ihre Gedanken eine andere Richtung. Wie hatte sie gleich wieder geheißen? Marie? Sie hatten nach der Suchaktion zusammen Kaffee getrunken. Sie sah Maries Lächeln noch vor sich. Weiße, etwas schiefe Zähne. Schöner Mund, der gerne lächelte. Sie hatte oft
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