EISKALTE UMARMUNG: Poesie der Angst. Thriller
ein Mann, der genau überlegte, was er tat, und dem man die Last seiner Verantwortung ansah. Zwanzig Jahre Jagd auf Mörder hatten ihre Spuren hinterlassen. Sein Rücken war leicht gekrümmt, sein Gang schleppend.
Im Fall Julia Jahnke war Heimbach bereits nach oberflächlicher Betrachtung der Tatortfotos zu der Schlussfolgerung gelangt, dass es sich um einen Serienmörder handelte.
Hirschau hatte seine Ausführungen mit Spannung verfolgt.
„Sehen Sie sich nur den Spruch an der Wand an: Ich bin die Sehnsucht, ein Prinz, und schön wie die Liebe. Die extremen Grausamkeiten seines Verbrechens in Verbindung mit Begriffen wie Prinz und Liebe lassen kaum einen anderen Schluss zu. Ein solcher Täter beschränkt sich nicht auf einen Mord, wir haben es hier mit einem Serienmörder zu tun, der nicht mit dem Messer tötet. Manche Killer benutzen das Messer, um eine sekundäre oder indirekte sexuelle Befriedigung zu erlangen. Unser Täter hat sein Opfer erwürgt, wie wir dem Obduktionsbefund entnehmen konnten. Das ist die intimste Form des Tötens. Und erst kurz nach ihrem Tod missbrauchte er sie. Wir haben es hier mit einem äußerst grausamen Menschen zu tun, Hamlet, einem Mann mit einem heimtückischen Wesen, das jedoch der Außenwelt verborgen bleibt. Ich vermute, er ist männlich, zwischen fünfundzwanzig und fünfundfünfzig Jahre alt, schlank, wenn nicht sogar ein wenig dünn. Aufgrund der Substanzen, die dem Opfer verabreicht wurden, ist davon auszugehen, dass er höchstwahrscheinlich selbst Drogen konsumiert. Ich bin mir fast sicher. Rompun in kleinen Dosen öffnet dem Konsumenten eine erlebnisreiche Welt. Alles, was er unter Einfluss der Substanzen erlebt, wird intensiver. Und unter Einfluss von Drogen können solche Täter das Rauschgefühl steigern. Vermutlich ist er ein Einzelgänger, der weder mit Frauen noch mit Männern enge Beziehungen eingeht, obwohl er durchaus verheiratet sein könnte. Typisch wäre auch, wenn er eine Frau, die er begehrt, nur aus der Ferne anschmachtet – und zwar so lange, wie sie sich in seinen Augen nicht amoralisch verhält.“
„Amoralisch? Was meinen Sie damit?“, hakte Hirschau nach.
„Das heißt, er verehrt die Frau nur so lange, wie sie ihn nicht enttäuscht. Es ist davon auszugehen, dass er Angst vor Frauen hat, die selbstbewusst und stark sind, ihre Sexualität ausleben und ihre Partner häufig wechseln. Verstehen Sie, worauf ich hinauswill?“
„Ja, klar“, sagte Hirschau und runzelte die Stirn. „Julia Jahnke hatte wechselnde Partner. Sie war eine sehr attraktive, selbstbewusste Frau. Das haben jedenfalls sowohl Nachbarn als auch Freunde ausgesagt. Das würde doch bedeuten, dass der Täter es auf diesen Typ Frau abgesehen hat, oder?“
„Da könnte er mittlerweile die Hälfte aller Frauen umbringen“, antwortete Heimbach. „Nein. Er sucht sich ganz bestimmte Frauen aus. Sehen Sie sich mal diese Verletzungen an. Er spaltet den Frauen die Zunge, durchtrennt ihre Stimmbänder, beint den Kehlkopf aus und trennt eine Hand vom Körper. Wir sprechen von einem Symbolmord. Typische Sexualtäter würden anders vorgehen. Die zerstören die Geschlechtsorgane ihrer Opfer. Eines ist ganz klar: Dieser Mann tötet aus anderen Motiven. In ihm ist eine unbändige Wut. Er tötet aus Rache. Sie ist sogar so groß, dass er sie ritualisieren muss.“
Hirschau schaute nachdenklich auf. „Diese Rituale, haben Sie die genauer unter die Lupe genommen?“
„Ja“, antwortete Heimbach. „Die Spaltung der Zunge, oder besser einer aus dem Mund heraushängenden Zunge, steht seit der griechischen Antike für freche Reden, häufig auch für die Verleumdung des Gatten oder für Ehebetrug. Der Täter scheint belesen zu sein, sonst wüsste er das nicht.“
Hirschau stutzte. „Das würde definitiv bedeuten, dass er diese Frauen hasst, richtig?“
Heimbach nickte. „Er bestraft sie, weil sie in seinen Augen nicht ehrlich sind. Er richtet über sie und hält sich selbst für moralisch unantastbar. Oder lassen Sie es mich drastischer formulieren: Vermutlich glaubt der Täter, er ist Gott. Seine erste sexuelle Beziehung war wahrscheinlich katastrophal, oder sie ging in die Brüche; entweder wurde er verlassen, oder sie hat ihn betrogen. Daraufhin schwören sich diese Typen, dass sie in Zukunft nicht mehr verlassen werden und sich eine Frau auch nicht mehr von ihnen abwendet. Seitdem rächt er sich an Frauen und überträgt seine eigene kranke Veranlagung auf das weibliche Geschlecht. Er
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