Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
EISKALTE UMARMUNG: Poesie der Angst. Thriller

EISKALTE UMARMUNG: Poesie der Angst. Thriller

Titel: EISKALTE UMARMUNG: Poesie der Angst. Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Korten
Vom Netzwerk:
quietschender Lattenroste, hielt sich mit beiden Händen die Ohren zu und fragte sich, wie ihre Mutter das Zimmer und ihr Bett mit diesem Mann teilen konnte.
    ***
    Irgendwann in der Nacht. Es war still im Haus. Jemand streckte die Hand nach ihr aus, legte seine kräftigen Hände auf ihre Schultern und rüttelte sie wach. Sie rieb sich die Augen. Die kleine Nachttischlampe spendete gedämpftes Licht. Ben stand vor ihrem Bett und hielt die Zeichnungen, die sie zu Annas Geburt gemalt hatte, in der Hand. Er zögerte, dann zerriss er hastig jedes einzelne Blatt. Seine Augen fixierten Katharina.
    Er sah sie nur an und sagte kein Wort. Die Papierschnipsel fielen zu Boden und verteilten sich auf dem Teppich. Geräuschlos schloss er die Zimmertür hinter sich, während sie am ganzen Körper zitterte.
    In dieser Nacht träumte Katharina von einer hageren Gestalt mit grauen, leblosen Augen, die sie aus ihren Zeichnungen anstarrte und in ihrem Zimmer stand, wenn sie erwachte.
    ***
    Wenige Tage später kam sie nach der Schule an dem Baum vorbei, der gegenüber ihrer alten Wohnung stand, und erinnerte sich an den kleinen Vogel, der zwei Tage nach Annas Geburt aus dem Nest gefallen war und den sie unter dem Baum begraben hatte.
    Anna war wie der kleine Vogel aus dem Nest gefallen. Katharina lebte wieder allein mit ihrer Mutter und diesem Mann, dem Schatten auf ihrer Zeichnung, den sie auf dem Blatt Papier zwar ausradiert hatte, der sich aber nicht aus ihrem Leben entfernen ließ. Ihre Mutter hatte sich geirrt. Sonntagskinder brachten kein Glück.

Kapitel 10
    1990
    Seit Lukas denken konnte, wollte er nichts anderes als fliegen und leben wie die Vögel. Abzuheben, über allem zu schweben, das ist das wahre Leben, dachte er. Er liebte die Vögel, bis auf die Eulen. Die waren in der Nacht nur laut und nervtötend, deshalb hasste er sie. Und er hasste sie auch, weil sie seit seinem siebten Lebensjahr in seinen Alpträumen vorkamen.
    Damals waren seine Eltern mit ihm in die Ferien nach Südtirol gefahren. Doch sie kamen dort niemals an. Lukas erinnerte sich nur schwach an den Unfall und wie das rote Auto seines Vaters in der Nacht plötzlich von der Fahrbahn abgekommen war. Seitdem wackelte sein Kopf, wenn er sich aufregte, und seit dieser Zeit sprach er mit stotternder Stimme und zog das rechte Bein leicht nach. Selbst in der Schule für geistig behinderte Kinder wurde er deswegen gehänselt.
    Obwohl gerade die doch alle verrückt sind, dachte er. Er war doch nur ein bisschen verrückt, hatte ihm seine Tante gesagt, und das stimmte auch. Manchmal waren es auch nur die Bilder in seinem Kopf, die ihn verrückt machten und von denen er Kopfschmerzen bekam, wenn er in der Nacht schweißgebadet aufwachte. Es waren Bilder eines schrecklichen Autounfalls. Seine Eltern waren in dem Wagen eingequetscht gewesen; kurz darauf hatte das Auto Feuer gefangen. Noch heute hörte er ihre Schreie. Überall sah er ihr Blut. Später versuchte ein Mann mit einem Helm und einem schwarzen Schutzanzug mit gelben Streifen die Tür des roten Autos zu öffnen, während Lukas auf einer grünen Wiese lag und fassungslos die Sterne anstarrte.
    Seit dem Tod seiner Eltern wohnte er bei seiner Tante, die bereits über sechzig war und in einem winzigen Haus in der Nähe der Maria-Emanuel-Klinik, einem Kindersanatorium, wohnte. Er mochte die alte Dame mit dem kurzgelockten weißen Haar, das ihr rosiges, rundliches Gesicht umrahmte. Jeden Morgen brachte sie ihm, bevor sie ihn zur Behindertenschule fuhr, das Frühstück ans Bett und lächelte ihn mit wässrig blauen Augen an.
    Nach der Schule, wenn sie nach dem Mittagessen auf dem Sofa zwischen den Spitzenkissen eindöste, durchstreifte Lukas den Auenwald und beobachtete mit dem Fernglas, das ihm seine Tante vor zwei Jahren zu seinem elften Geburtstag geschenkt hatte, die Brutvögel.
    Nach den Streifzügen lag er, vom Dickicht geschützt, häufig wie ein lauernder Fuchs hinter dem Zaun, der an der Terrasse der Maria-Emanuel-Klinik entlangführte. Seinem Fernglas entging nichts, und mit dem Spezial-Zoom konnte er sogar die künstlichen Wimpern der Kinderpuppen heranzoomen. Die kleinen, zarten, gestikulierenden Kinderhände der Terrassenmädchen faszinierten ihn am meisten. Wie Flügel kleiner schutzloser Vögel waren sie.
    Manchmal erschien während der Besuchszeit eine Schwester in der grauen Johannitertracht, um die Besucher kurz zu begrüßen. Sie trug eine schwere Brille, deren Gläser ihre Augen wie tiefe schwarze

Weitere Kostenlose Bücher