EISKALTE UMARMUNG: Poesie der Angst. Thriller
ich trauen“, flüsterte sie.
Sie könnte sich noch nicht mal ihrem geliebten Tagebuch anvertrauen, aus Angst, dass er es finden könnte, und plötzlich kamen ihr die Tränen.
Dabei überhörte sie das leise Rascheln eiliger Schritte, die sich aus dem Gebüsch hinter der Bank entfernten.
Heute ist der siebte November. Ob Großmutter Nina ahnt, dass ich in der Nacht kaum Schlaf finde, dass Ben uns quält und ich mich vor ihm und diesem grauen Etwas in meiner Kommode fürchte?
Ich habe Mama gesagt, sie soll ihn fortschicken, doch sie hat mir über den Kopf gestreichelt und mir versprochen, dass sie mit ihm reden wird. Aber ich glaube ihr nicht, denn sie hat mich bei ihrem Versprechen nicht angesehen, sondern immer starr auf die Wand geschaut, und danach hat sie Geschirr gespült, als wäre nichts geschehen. Und warum darf ich den Großeltern nichts sagen. Ich finde das nicht richtig. Das wird mir später nie passieren. Niemals!
Anna geht es auch nicht gut. Ich glaube, sie ist krank. Wir wissen nicht, was sie hat. Severins Vater kommt gleich, um nach ihr zu sehen.
Katharina klappte das Tagebuch zu, legte es in die Kommode, nahm Jasper vom Bett und zog ihre dicke Wolljacke an. Dann ging sie aus dem Haus, lief zum Weiher hinter dem Friedhof und setzte sich auf die Bank neben dem Bootsschuppen.
Sie starrte aufs Wasser und drückte Jasper fest an sich. „Was meinst du, kommt Severin noch?“
Vergeblich versuchte sie, aus den dunklen Knopfaugen eine Antwort zu lesen.
„Es ist eigentlich ganz schön draußen. Er könnte noch kommen, findest du nicht?“
Sie beugte seinen Kopf zweimal vor und freute sich, dass er nickte. Dann erzählte sie ihrem vertrauten Freund von dem merkwürdigen Verhalten ihrer Mutter. „Mama war richtig komisch. Sie hat nur ihre Ruhe haben wollen. Oder was meinst du?“
Jasper machte ein trauriges Gesicht, doch dann wiegte er seinen Kopf hin und her. Nein, das glaubte er nicht, tröstete er sie.
Am Abend fand Katharina keinen Schlaf, knipste ihre Nachttischlampe an und schrieb:
Heute ist der achte November. Das kleine Bett in meinem Zimmer ist leer. Als ich gestern von der Schule nach Hause kam, erzählte Mama, dass Anna sich beim Spielen verletzt hat. Ich glaube, dass Mama lügt. Anna ist schon lange krank, nicht erst seit gestern. Ich frage mich immer wieder, ob womöglich Ben dahintersteckt. Am Abend kam Dr. Corelli, um nach Anna zu sehen, wenig später die Ambulanz des Kindersanatoriums. Severins Vater hat Anna sanft auf die Pritsche des Krankenwagens gebettet. Mama ist mitgefahren und hat mich allein gelassen. Aber Dr. Corelli hat mich in den Arm genommen und mich getröstet. Er glaubt, Anna kommt vielleicht bald wieder nach Hause. Severins Vater ist so lieb. Warum kann Ben nicht so sein? Aber ich habe trotzdem ein ungutes Gefühl und bin furchtbar nervös. Mama ist erst spät in der Nacht ohne Anna nach Hause gekommen. Ich bin einsam ohne Anna, und ich habe Angst.
***
Heute ist der zehnte Januar. Anna liegt seit zwei Monaten in einem Sanatorium für Kinder. Severin und ich besuchen sie oft mit Opa Alexe und Oma Nina, doch es geht ihr nicht gut. Sie liegt auf einer Isolierstation, weil sie eine Lungentuberkulose bekommen hat. Mama sagt, dass sie operiert wird. Anna ist nicht besonders widerstandsfähig. Sie muss in der Klinik bleiben, damit sie sich erholt. Ich bin traurig, weil ich mich nicht mehr um sie kümmern kann. Sie ist allein. Ich bin auch allein. Nein, nicht ganz. Immerhin ist Severin für mich da, und Jasper, die hören mir zu, wenn ich traurig bin. Ich glaube, Anna ist Mama egal. Sie ist manchmal so abweisend. Sie kann mich nicht vor Ben beschützen, obwohl sie es versprochen hat. Es wird immer schlimmer mit ihm. Er quält mich, immer und immer wieder.
Katharina klappte das Tagebuch zu. Gestern, am neunten Januar, war ihr Geburtstag gewesen, sie war jetzt vierzehn. Ihre Mutter hatte ihr einen Schlafanzug geschenkt, und die Großeltern brachten am frühen Nachmittag einen selbstgebackenen Kuchen vorbei und tranken mit ihrer Mutter einen Kaffee. Am frühen Abend war die Nachbarin gekommen und hatte ihr ein Päckchen überreicht. Neugierig hatte Katharina die Schleife gelöst und eine bunte Glasperlenkette ausgepackt. Sie strahlte: Noch nie hatte ihr jemand ein Schmuckstück geschenkt.
Als ihre Mutter ihr die Kette um den Hals gelegt hatte, war Ben aus seinem Sessel gesprungen und unruhig im Wohnzimmer auf und ab gelaufen.
Am Abend hörte Katharina das Geräusch
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