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EISKALTE UMARMUNG: Poesie der Angst. Thriller

EISKALTE UMARMUNG: Poesie der Angst. Thriller

Titel: EISKALTE UMARMUNG: Poesie der Angst. Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Korten
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Krater erscheinen ließen. Ihm fiel auf, dass sie, während sie freundlich mit den Angehörigen sprach, die Kinder fixierte. Auch er trug eine Brille. Seine Augen seien wie ein großer blauer See, hatte seine Tante gesagt.
    Die seltsame Schwester war die Oberin, und ihr Name war Maria Luca. Das wusste Lukas, denn ihr Name stand neben dem Foto auf der Tafel am Eingangstor der Klinik.
    Heute hatten die Terrassenmädchen nur vier Stunden Unterricht in der Schule gehabt, und deshalb hatte er schon früher an seinem beliebten Ausguckplatz Stellung bezogen.
    Auf der Terrasse war niemand zu sehen. Wahrscheinlich war jetzt Essenszeit, dachte er und richtete sein Fernglas auf den Speiseraum. Die Mädchen schienen wild durcheinanderzuplappern und mit den Löffeln auf den Tellern zu klappern. Es gab heute wohl Suppe als Vorspeise. Einige Johanniterschwestern zogen freundlich lächelnd die Stirn in Falten, was sich aber auf das muntere Durcheinander nicht auswirkte.
    Plötzlich ging ein Raunen durch die Schar. In der Tür erschien die Oberin. Sie nahm am Kopfende des langen, schmalen Tisches Platz. Verängstigt senkten die Kinder den Blick und wagten sich kaum zu bewegen. Geduldig warteten sie, bis die Suppe aufgetischt wurde und die Oberin nach einem Tischgebet und kurzen Kopfnicken das Essen freigab. Sie schien sehr hastig gegessen zu haben, denn kurz darauf schlenderte sie durch die Tischreihen, eine schwarze, schlanke Gerte wippend auf dem Rücken haltend. Hier und da stieß sie ein tuschelndes Kind mit der Gerte an. Lukas verfolgte ihren Gang und betrachtete die Kinder der Reihe nach. Dann entdeckte er sie. Mit ihrem blonden Haar und dem blassen Teint erinnerte sie ihn sofort an Dornröschen.
    Gehorsam über ihren Tellern duckend, schlürften die Kinder ihre Suppe; nur Dornröschen berührte ihr Essen nicht. Sie saß mit stolz erhobenem Kopf am Tisch und sah mit ihren blauen Augen trotzig in die Runde.
    Und dann beobachtete er, wie sich die Oberin hinter sie stellte und sie an den Haaren vom Stuhl hochzog. Die Nonne nahm den Löffel, tauchte ihn in die Suppe und schob ihn dem Mädchen in den Mund. Er konnte sich vorstellen, wie sie es anherrschte: „Du isst das jetzt! Und keine Widerworte!“ Dabei hielt sie Dornröschens Haar unerbittlich fest und schob ihr einen Löffel nach dem anderen in den Mund. Dornröschen würgte; Tränen liefen über ihr helles Gesicht.
    Er ballte die Hände zu Fäusten. Voller Zorn und Entsetzen starrte er durch sein Fernglas auf Dornröschen, und so übersah er, dass die Oberin, nachdem sie endlich von ihrem Opfer abgelassen hatte, den Speisesaal verließ.
    Ein seltsames Rascheln in seinem Rücken riss ihn schließlich aus seinen Gedanken, und er drehte sich erschrocken um. Hinter ihm stand die Oberin und starrte ihn wortlos an. Schweiß trat auf seine Stirn. Sekundenlang blieb er regungslos liegen, bis ihm eine Stimme zuflüsterte: Flieh! Lukas sprang auf und wollte davonlaufen, doch die Oberin fasste ihn am Arm.
    „Aua! Loslassen!“, rief er laut.
    „Wen haben wir denn da?“, fauchte sie.
    Lukas lief feuerrot an und schaute vor Scham und Angst zur Seite.
    „Sieh mich an!“, befahl sie.
    Die Augen hinter den dicken Brillengläsern musterten ihn ungerührt. Ihr Mund war zu einem verächtlichen schmalen Strich zusammengezogen und machte ihr Schweigen zu klirrend kaltem Eis. Sie verstärkte den Griff um seinen Oberarm und entriss ihm mit der anderen Hand sein Fernglas. Er schrie auf vor Schmerz. Sein Kopf wackelte.
    „Wa-was wollen Sie-sie von mi-mir?“
    „Wir werden uns unterhalten, in aller Ruhe.“
    „Wo-worüber?“
    „Was glaubst du denn, worüber wir uns unterhalten sollten?“, sagte sie drohend und hielt das Fernglas hoch, das sie ihm weggenommen hatte.
    Lukas schwieg und stolperte ängstlich neben ihr her. Durch einen Seiteneingang betraten sie einen Nebentrakt des Gebäudes. An der Eingangstür war ein kleines Schild angebracht, worauf in zierlicher Schrift die Nummer 23 eingraviert war. Der Weg führte durch einen langen fensterlosen, nur vom trüben Licht einiger Glühbirnen erhellten Gang. Sie begegneten niemandem.
    Vor einer unscheinbaren, aber massiven Holztür machten sie halt. Die Oberin öffnete und schubste ihn grob in den Raum.
    Lukas sah sich um. Das spärlich eingerichtete Zimmer war kaum groß genug für ein Bett, eine Kommode und einen schmalen Schreibtisch mit Stuhl. Die Wände waren kahl, bis auf das Kruzifix, das über dem Bett hing. Die Oberin verschloss von

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