EISKALTE UMARMUNG: Poesie der Angst. Thriller
Und wenn du wissen willst, wie alt sie sind, dann musst du schon selber teilnehmen.“
„Hm ...“
„Ich würde mich sehr freuen, wenn du kommst, Mathilda. Wollen wir morgen einen Spaziergang durch die Gärten machen? Dann könnte ich dir auch viel Interessantes erzählen.“
„Hm …“
Mateo lächelte schelmisch. „Komm, dann lass uns mal ins Refektorium gehen“, sagte er und bot ihr seinen Arm zum Unterhaken an. „Nicht dass die uns alles wegessen, wo der Kräuterduft doch so hungrig macht.“
***
Manchmal stritten sie, weil Anna das Klosterleben mochte und geradezu glorifizierte, Mathilda jedoch glaubte, dass es allein ihre Zuneigung für Pater Mateo war, die diese Begeisterung bewirkte.
Zwischen den Exerzitien und dem Tagesprogramm entspannte sich Anna auf der Terrasse und genoss den Ausblick. Pater Mateo, dessen große Ausstrahlungskraft sie immer wieder tief beeindruckte, leistete ihr oft Gesellschaft. Er erinnerte sie stark an ihren Großvater. Vielleicht waren es seine dunklen Augen, vielleicht lag es aber auch daran, dass er sich im Garten beim Pflücken der Kirschen ebenso wie Alexe mit einem weißen Panamahut gegen die brennende Sonne schützte.
Sie erzählte ihm von ihrer Zeit in der Kinderklinik unter der Fuchtel der furchtbar strengen Maria Luca und von der Angst, die sich seit Katharinas Tod verstärkt hatte. Doch vor allem sprach sie über Katharina. Es tat gut, über das zu reden, worüber bisher noch niemand mit ihr geredet hatte: über Katharinas Ermordung.
„Es gibt im Leben keine Zufälle, Anna. Alles ist vorbestimmt, auch der Tod. Leider haben wir nicht die Macht, darüber zu entscheiden, wie er uns entgegentritt. Katharina ist ihm viel zu früh und auf grausame Weise begegnet. Wir müssen lernen, damit umzugehen. Die Zeit ist ein guter Freund. Du lebst, Anna, und Katharina hätte bestimmt nicht gewollt, dass du das Leben, das dir geschenkt wurde, nicht bejahst.“
Sie begann zu weinen, und der Pater legte seinen Arm um ihre Schulter. „Alles ist vorbestimmt, so wie auch eine Bestimmung dich zu mir geführt hat.“
Dann nahm er ihre Hand und begründete seine Aussage mit der Geschichte des heiligen Nazarius, der nach der Überlieferung als Glaubensbote in Italien gewirkt hatte. „Während der Verfolgung wurde er gefangen genommen und ins Meer geworfen. Doch Nazarius überlebte und entkam dem Meer. Ich möchte damit zum Ausdruck bringen, dass, auch wenn wir verzweifelt sind, wir nie die Hoffnung und den Glauben an uns selbst verlieren dürfen. Nur so können wir dem Leben bejahend entgegentreten. Nazarius wurde ins Meer geworfen, und niemand glaubte, dass er überleben würde. Es gibt immer einen Weg, Anna. Deine Ängste sind völlig normal. All das ist Bestandteil deiner Trauer.“
Anna trocknete ihre Tränen. „Das hat meine Mutter auch gesagt.“
***
Wenige Tage später lud der Pater die beiden Mädchen zu einem Abendessen im Kaminzimmer ein. Er erwartete außer ihnen noch die ungestüme Charlotta und ihren Bruder Max als Gast. Beide waren Kinder eines alten Freundes.
Charlotta war wie Anna und Mathilda vierzehn, sie hatten sie bereits vor zwei Tagen bei den Exerzitien kennengelernt, an denen Charlotta hin und wieder auf Wunsch ihrer Eltern teilnahm, und sie sofort in ihr Herz geschlossen. Von Beginn an nannten sie sie einfach nur Charly.
Charly gefiel es, wenn sie mit diesem Kosenamen angesprochen wurde. Sie war ein impulsives Mädchen, das man einfach gernhaben musste. Anna fand, dass Charly Mathilda sehr ähnlich war, was jedoch weniger an ihrem Äußeren lag als vielmehr an ihrer Gestik, am warmen Klang ihrer Stimme und an ihrem breiten Lächeln.
Nichts nahm Charly ernst, und nichts konnte sie erschüttern. Selbst Pater Mateo nahm Charlotta so, wie sie war, und amüsierte sich über ihre sprunghafte Art und ihr überschäumendes Temperament.
Als sie zum Abendessen in das Kaminzimmer traten, war Pater Mateo mit einem jungen Mann in ein Gespräch vertieft.
Der Pater drehte sich um und sagte: „Kommen Sie, Max. Darf ich Sie mit diesen bezaubernden jungen Damen bekannt machen? Die Rothaarige ist Mathilda. Und diese junge Dame mit den Engelshaaren ist Anna.“
Als Max aufstand und sich umdrehte, sah Anna in ein markantes Gesicht, das in ungewöhnlichem Maße Willensstärke und Kraft ausstrahlte.
Sein Haar war kurz und von einer tiefschwarzen Farbe, wie man sie nur von Südländern kennt. Er begrüßte Mathilda freundlich und reichte ihr die Hand. Er stellte sich
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