EISKALTE UMARMUNG: Poesie der Angst. Thriller
Klostergeländes gelegenen Gärten, die einem das Gefühl gaben, der Zeit enthoben und dem göttlichen Frieden ganz nahe zu sein. Von den Gärten fiel der Blick auf die Ruine der alten Klostermauer. Dort hatte man seit dem zwölften Jahrhundert die Mönche zur letzten Ruhe gebettet. An den Mönchsfriedhof grenzten ein Garten mit Obstbäumen, ein Weinberg und ein kleiner Pavillon mit Blick zum Pinienwald. Von der weitläufigen Terrasse hatte man einen traumhaften Blick auf den Klostergarten und den Golf von Neapel mit seinen Hügeln und Pinien, auf die zahlreichen Inseln und den Vesuv.
Die Patres, und vor allem Pater Mateo, nahmen sich der beiden Mädchen mit großer Herzlichkeit an. Von Anfang an mochten Anna und Mathilda den kleinen Mönch mit den lustigen Augen, der seine beträchtliche Körperfülle unter einer braunen Kutte verbarg. Man sah ihm an, dass er gutes Essen liebte, und in der Klosterküche munkelte man, dass Pater Mateo dem Rotwein der klösterlichen Weinberge noch mehr Wertschätzung entgegenbrachte.
Alexe, Annas rumänischstämmiger Großvater, war früher, im Gegensatz zu seiner Frau Nina, ausgesprochen reiselustig gewesen. Als Freimaurer hatte er die Welt bereist und einen großen Freundes- und Bekanntenkreis aufgebaut. Dazu zählte auch Pater Mateo, der dem Benediktinerorden angehörte und Theologie, Philosophie und Germanistik studiert hatte, was auch sein ausgezeichnetes Deutsch erklärte. Er hatte ihn in Rom kennengelernt und sich mit ihm angefreundet.
Als Pater Mateo ihn einlud, das Convento di Carmo zu besuchen, hätte er nur allzu gern sofort eingeschlagen. Aber zuerst wollte er seine Frau überreden mitzukommen. Das war vor drei Jahren. Nina hatte jedoch keine Lust. So kam Alexe schließlich auf die Idee, Anna mitzunehmen. Und sie war begeistert vom Convento und blühte in dieser Umgebung förmlich auf.
Als Alexe sie nach Katharinas Tod fragte, ob sie Lust habe, Pater Mateo zu besuchen, war sie sofort einverstanden. Aber sie müsse alleine fahren, sagte Alexe, Oma wollte nicht, und allein lassen könne er sie nicht. Anna fühlte sie sich bei dem Gedanken, allein zu sein, nicht wohl, deshalb fragte sie, ob Mathilda mitfahren könne. Pater Mateo hatte nichts dagegen, Mathildas Eltern auch nicht. Deshalb war sie jetzt mit ihrer Freundin nach Italien gereist, und sie fühlte sich hier pudelwohl.
Mateo hatte die beiden Mädchen sofort ins Herz geschlossen, und ihnen ging es mit dem alten Mann genauso.
Er brachte sie in einem der eindrucksvollen Nebengebäude unter, das inmitten von Zitrusplantagen lag. Der Schlafraum war spärlich eingerichtet: sechs Betten, über denen jeweils ein kleines Kruzifix hing; neben jedem Bett ein Nachtschränkchen und für zwei Betten jeweils ein Kleiderschrank. In der Mitte des Raumes stand ein großer, blankgescheuerter, nach Bienenwachs duftender Holztisch mit sechs Stühlen. Den einzigen Luxus stellte das großzügige Badezimmer neben dem Schlafraum dar, das die Mädchen ganz für sich allein hatten, da sie die einzigen Gäste des Ordens waren.
Tagsüber lernten sie, bunte Urkunden zu gestalten, rührten Farben nach alten Rezepturen an und lernten das Schreiben mit Gänsekiel, wie im Mittelalter.
An den Exerzitien nahm Mathilda nicht teil. Gebet und Fürbitte, Buße, Psalmengesang und Messe, dieses ganze Spektrum religiöser Andachtsübungen war ihr suspekt. Sie hielt sich lieber in den Klostergärten auf. Zwei Tage nach ihrer Ankunft sprach Pater Mateo sie im Garten darauf an.
„Der Garten scheint dir wohl besser zu gefallen als die Exerzitien, nicht wahr?“
Mathilda druckste herum.
„Es gibt eine alte Klosterregel, Mathilda, die besagt, dass ein Kloster, wenn möglich, so angelegt werden soll, dass sich alles Notwendige, nämlich Wasser, Mühle und Garten, innerhalb der Mauern befindet. Wir haben versucht, diese Regel in die Tat umzusetzen.“
Mathilda nickte.
„Gärten bilden Brücken zwischen Menschen, auch zu den Menschen der Vergangenheit, die hier im Convento di Carmo gelebt haben. Vor allem die Freude am Duft der Gärten und ihrer Schönheit führt Menschen zusammen.“
„So habe ich einen Garten noch nie betrachtet“, sagte Mathilda.
Pater Mateo schmunzelte. „Wenn du die Augen schließt, steigt dir förmlich der Kräuterduft in die Nase. Vielleicht ist dieser Garten ja sogar die Brücke zu deinen Exerzitien?“
Sie kicherte. „Ist der Garten sehr alt?“, fragte sie neugierig.
„O ja, aber die Exerzitien sind noch viel älter.
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