EISKALTE UMARMUNG: Poesie der Angst. Thriller
zog ihn damit auf, wie beschissen er aussah, stellte ihm einen schwarzen Kaffee hin und verschwand mit den Worten: „Bis später!“
Er seufzte. Womit hatte er das alles verdient?
Kapitel 31
Seit Wochen hatte Lukas seine Tabletten unregelmäßig genommen und war tagsüber nur gelegentlich klar im Kopf. Als er aufwachte, konnte er sich nur noch an Bruchstücke erinnern, an Jakob, Katharina und Anna und an eine Melodie, die sich wie ein Chor von feierlichen Stimmen in seinem Kopf festgesetzt hatte.
Einmal hatte er auch von Max geträumt, der Sex mit Dornröschen hatte. Er war mit zitternden Muskeln aufgewacht, den schwindenden Duft von Rosen in der Nase.
Heute hingegen war er weder mit den Nachbildern eines Traums noch mit feierlichen Nachklängen aufgewacht, sondern mit einem einzigen Gedanken: Heute Nacht würde er Dornröschen wieder bewachen, draußen vor dem Fenster, und jedes Ereignis von Bedeutung für Jakob dokumentieren. Es gab nur zwei Menschen, die in seinem Leben Regie führten: Jakob und Dornröschen.
***
Den Mann, der an ihrem Bett saß und ihre Hand hielt, hatte die Rothaarige, die jeden Tag kam, mit „Max“ angesprochen. Max war auch der Name des Schäferhunds seiner Tante gewesen. Er war immer im Zwinger gewesen und bellte zum Schluss ganz heiser, wenn er ihn herausließ, um mit ihm spazieren zu gehen. Dann sprang er ihn vor Freude fast um und schleckte ihn mit seiner lappigen Zunge ab; manchmal krallte er sich an seinem Knie fest und rieb seinen Schwanz an seinem Bein. Das konnte er gar nicht ausstehen, aber wenn er ihn wegstoßen wollte, fletschte er die Zähne und ließ ihn nicht, bis er seine Schleimspur gezogen hatte und ihn mit hechelnden Lefzen idiotisch anglotzte und er schon gar keine Lust mehr hatte, mit ihm spazieren zu gehen. Aber wenn er dann mit ihm im Wald war, war alles vergessen, und er ließ ihn frei, obwohl seine Tante das ausdrücklich verboten hatte wegen des Wildes und des Försters. Aber im Wald waren sie richtige Freunde.
Das Fenster von Dornröschens Zimmers war leicht geöffnet, und er schlich sich so nah heran, dass er die Stimme dieses Mannes namens Max hören konnte.
***
„Erinnerst du dich noch an das erste Zusammentreffen mit meinen Eltern? Sie haben dich sofort in ihr Herz geschlossen.“ Max warf einen Seitenblick auf den Monitor, der gleichmäßige Hirnströmungen zeigte. „Ich weiß, du warst damals sehr beeindruckt von unserem Haus mit seinen lichtdurchfluteten Räumen und dem großen Park. Während ich in der Firma gearbeitet habe, bist du mit meiner Schwester Charlotta in die Stadt gefahren: bummeln, Cappuccino trinken, bis sie sich nicht mehr beherrschen konnte und mal wieder ihr Bankkonto plünderte. Wusstest du übrigens, dass sie früher sogar ihre Kontoauszüge vor unseren Eltern versteckte, damit sie die Jagd durch die Nobelläden wie Versace , Armani oder Lacroix ungestört fortsetzen konnte? Allerdings wurde dir diese Einkaufsneurose, die häufig mit wahren Umtauschorgien verbunden war, manchmal zu viel. Dann riefst du mich an und sagtest mir, in welchem Einkaufstempel sie gerade ihren Konsumrausch austobte, und batest mich, dich zu erlösen. Du wolltest sie nicht vor den Kopf stoßen, und deshalb musste ich mir jedes Mal eine neue Strategie ausdenken. Entweder ging ich in den Laden und spielte den Unschuldigen: Na, so ein Zufall, bin gerade zufällig hier vorbeigekommen, und wen sehe ich durchs Schaufenster? So eine Überraschung! Natürlich ging das nur bei realistischen Außenbedingungen. Bei manchen Läden kann man gar nicht ins Geschäft schauen. Oder ich bin einfach rein und habe glatt behauptet, dass ich mich mit einem Geschäftsfreund treffen wollte, der seiner Freundin vorher noch mit der Brieftasche Beistand leisten wollte. Mir fiel immer was ein, bis schließlich Charlotta eines Tages sagte: ‚Okay, Brüderchen, bis jetzt hast du dich tapfer geschlagen, aber bevor dir deine Ausreden ausgehen oder ich vor Mitleid über euren Trennungsschmerz dahinschmelze, erkläre ich die Zeiten des diplomatischen Notstands für beendet.’ Wir haben fürchterlich darüber gelacht, weißt du noch? Aber jetzt das Neueste: Mein Vater hat mir heute verkündet, dass ich in den nächsten Monaten offiziell die Geschäftsführung übernehmen und ihn von den Tagesgeschäften entlasten soll.“
***
Die Pieptöne des Monitors wurden plötzlich lauter, und als fühlte er sich ertappt, ergriff Lukas erschrocken die Flucht und radelte zur Blockhütte.
Als
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