EISKALTE UMARMUNG: Poesie der Angst. Thriller
sarkastisch.
Neumann deutete auf einige Autos. „Der Mercedes. Siehst du den gelben Mercedes?“
„Was ist damit?“, fragte van Cleef.
Ein breitschultriger Mann in einem Jogginganzug saß zusammengesunken auf dem Vordersitz und redete erregt auf einen Polizisten ein.
„Der Besitzer ist Peter Herzog, der Nachbar des Opfers. Er hat seinen Wagen als gestohlen gemeldet. Gestern fand eine Streife das Fahrzeug an einer verlassenen Kreuzung. Sie haben ihm den Wagen zurückgebracht.“
„Ja? Und?“
„Er ist gestern Nachmittag mit dem Mercedes durch die Waschanlage gefahren und hat ihn danach von innen gesäubert. Dabei fand er auf dem Rücksitz eine Spritze und Blutspuren. Als er heute Morgen vom Fenster unseren Streifenwagen sah, hat er sich schnell angezogen und die Spritze der Spurensicherung übergeben. Den Mercedes haben wir beschlagnahmt. Unsere Experten glauben, dass das Blut von der Toten stammen könnte.“
„Woher wollen die denn das ohne Analyse wissen?“
„Es ist eine Ketamin-Spritze. Das ist eine Substanz, die Muskellähmungen hervorruft.“
Van Cleef blieb stehen. „Ja? Und?“
„Unsere Pathologin hat die Leiche bereits inspiziert. Veronika sagt, sie hätte die Substanz beinahe riechen können. Was ist das bloß für eine Frau, deren beruflicher Alltag Leichen sind?“
„Sie ist okay. Die Obduktion wird ihre Theorie sicher bestätigen. Sie ist eine Kapazität auf ihrem Gebiet.“
„Oh-oh! Höre ich da etwa Worte der Bewunderung von einem Mann, der sich ansonsten diesbezüglich sehr zurückhält?“
Van Cleef lachte. „Ich weiß, ich bin morgens sehr redselig“, sagte er.
Sie zeigten beide einem Polizeiposten ihre Ausweise und duckten sich unter dem Absperrband hindurch.
Die Gerichtspathologin Veronika Granel kam ihnen im Flur entgegen und reichte ihnen eine Gesichtsmaske aus Baumwolle und Handschuhe.
„Sie ist höchstens zwölf bis fünfzehn Stunden tot, eher weniger. Bringt sie, sobald ihr fertig seid, in die Pathologie. Und jetzt werde ich meinem Assistenten seinen freien Tag nehmen und ihn aus dem Bett werfen. Ich kann euch mehr sagen, wenn ich sie auf dem Seziertisch habe. Netter Spruch übrigens an der Wand.“ Sie schaute van Cleef an und flötete: „ Eu so a saudade, um principe, e lindo como o amor . Das ist Portugiesisch und bedeutet: ‚Ich bin die Sehnsucht, ein Prinz, und schön wie die Liebe.’ Üble Sache da drinnen. Bis dann, meine Herren.“
Die Männer räusperten sich, nahmen die Handschuhe und die Gesichtsmasken und zogen die Schutzanzüge über.
Neumann lächelte. „Sie ist nicht nur eine Kapazität, sondern spricht auch noch Portugiesisch? Solche Frauen ängstigen mich.“
„Du musst sie ja nicht heiraten. Also, dann wollen wir mal einen Blick auf die Leiche werfen“, sagte van Cleef.
Sie betraten die Küche. Die Beamten der Spurensicherung waren bereits dabei, Spuren und Beweismittel mit Anhängern zu versehen und in Tüten zu verschließen: ein Glas, das in der Küche stand, eine zerdrückte Coladose, ein Geschirrtuch, das über dem Küchenstuhl lag.
Als sie das Schlafzimmer betraten und mit Rebeccas Anblick konfrontiert wurden, wusste van Cleef, dass das mit der Schlaflosigkeit noch nicht ausgestanden war.
Kapitel 30
Am nächsten Abend sinnierte van Cleef, als er im gedämpften Licht der Krankenhaus-Cafeteria der zierlichen Frau mit den roten Haaren gegenübersaß, über den Zusammenhang von Magie und äußerem Erscheinungsbild. Letzten Endes reduzierte sich alles auf das Eingeständnis, dass es ihm in Gegenwart dieser Frau schwerfiel, sich auf die Fakten zu konzentrieren. Und das einzige aktuelle Faktum, das er für gesichert hielt, war, dass er auf dem besten Weg war, den Kopf zu verlieren.
„Es tut gut, über Anna sprechen zu können, und Sie sind ein geduldiger Zuhörer“, sagte sie.
„Nicht immer.“
„Zum Beispiel?“
„Junkies reden eine Menge Blödsinn, wenn sie erwischt werden. Das nervt.“
„Es gibt nichts in Annas Vergangenheit. Sie hat niemandem etwas getan. Ihre Großmutter gab ihr Halt und Stabilität, obwohl die alte Dame den Verlust ihres Ehemanns selbst kaum verkraften konnte. Meine Mutter besuchte sie damals häufiger, und zwischen den beiden Frauen entwickelte sich eine enge Freundschaft. Anna war glücklich darüber. Sie hatte ein schlechtes Gewissen, wenn sie ihre Großmutter abends allein ließ.“ Sie seufzte. „Sie träumte von der großen Liebe und wartete auf den Prinzen, der ihr Leben verändern
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