EISKALTE UMARMUNG: Poesie der Angst. Thriller
seiner Kindheit vermutet hatte.
„Nichts durfte den Sohn auf seinem Weg nach oben aufhalten. Die Mutter kümmerte sich um seine Bildung und unterdrückte gleichzeitig seine sexuellen Bedürfnisse.“
„Wie macht man das?“
„Ganz einfach. Sag einem Jungen in der Pubertät nur oft genug, dass man vom Beischlaf geschlechtskrank wird, und male die Geschlechtskrankheiten in den infernalischsten Farben. Bei seiner ersten Tat muss er zwischen sechzehn und zwanzig gewesen sein. Die Leiche werden wir nicht finden. Vielleicht später, wenn er Spuren hinterlässt oder uns einen Hinweis gibt. Ich glaube, dass sein erster Mord mindestens dreißig Jahre zurückliegt und zwischen den weiteren Taten größere Abstande liegen. Nur jetzt scheinen die Abstände kürzer zu werden.“
„Warum glaubst du das?“
„Es ist die Heftigkeit, mit der er seine Perversionen auslebt. Er hat sich regelrecht ausgetobt. Das spricht für eine langjährig aufgestaute Emotion. Doch irgendetwas hat diese Entladungen jetzt kurz hintereinander aktiviert.“
„Was könnte das sein?“
„Es muss etwas mit Katharina Wendel und ihrer Schwester Anna zu tun haben. Sie müssen ihn stark an seine Mutter erinnern, die er liebt und gleichzeitig hasst. Er hat Katharina getötet und glaubt, seine Mutter getötet und endlich Ruhe zu haben. Da taucht plötzlich ihre zehn Jahre jüngere Schwester auf. Anna Wendel braucht rund um die Uhr Personenschutz. Es kann sein, dass er sie als seine Mutter ansieht. Und jetzt, wo sie einen Freund hat, ist sie für ihn auch besudelt wie seine Mutter. Also muss sie sterben, und er wird keine Ruhe geben, bis er sein Vorhaben vollendet hat. Das Jenseits muss für ihn ein Reich der Erlösung sein und der Tod ein Feind, der mit Ritualen besiegt werden muss, um zu verhindern, dass er das besudelte Opfer unerlöst in die Hölle reißt.“
Van Cleef sah ihn nachdenklich an. „Du meinst, wir haben es in gewisser Weise mit einem religiösen Fanatiker zu tun?“
Hirschau nickte nachdenklich.
„Ja, vielleicht hast du recht“, sagte van Cleef, „alles deutet darauf hin. Aber eine Sache macht mir noch Kopfschmerzen. Warum nimmt er die abgetrennte Hand mit? Was bedeutet das?“
Hirschau fuhr sich durchs Haar. „Wir vermuteten, dass sie eine Trophäe ist. Irgendetwas muss er erlebt haben, das diese Hand für ihn so bedeutungsvoll macht. Welche Hand ist es denn? Immer die rechte?“
Van Cleef nickte.
„In der Regel benutzen die Menschen ihre rechte Hand zum Schreiben, zum Winken, man küsst die rechte Hand, rechtshändige Selbstbefriedigung, wer weiß? Vielleicht hat seine Mutter sein Vaterbild beschmutzt und ist in seinen Augen nicht integer.“
„Du meinst, sie könnte eine Prostituierte gewesen sein?“
„Durchaus. Er könnte als Kind gewollt oder ungewollt Zeuge gewesen sein. Das würde vieles erklären.“
Das Telefon klingelte, und van Cleef nahm den Hörer ab.
„Veronika hier. Du hast Glück. Wir haben die DNA, und wir haben den Typen in der Kartei.“
„Spann mich nicht auf die Folter!“, sagte van Cleef gereizt. Eine Minute später legte er auf und sah Hirschau verdutzt an.
„Die Haare, die die Gerichtsmedizin bei Anna Wendel und Rebecca gefunden hat, stammen von Ben Wendel.“
„Wie bitte? Das würde bedeuten, dass die von der Vermisstenabteilung die ganze Zeit geschlafen haben.“
„Es war aber das erste Mal, dass er seine DNA hinterlassen hat. Er wird unvorsichtig! Bei den anderen Opfern haben wir keine fremde DNA gefunden.“
Hirschau nickte.
Erneut griff van Cleef zum Hörer. „Neumann. Wir haben einen Verdächtigen. Leite die Großfahndung nach Ben Wendel ein.“
Kapitel 39
Wahrscheinlich war sie gerade dabei, einen Fehler zu begehen, dachte Mathilda, als sie das schmale Etuikleid an ihrem Körper glattstrich. Eigentlich wollte sie gar nicht ernsthaft was mit einem Mann anfangen, und jetzt schlitterte sie genau darauf zu. Sie seufzte. Wie war es nur dazu gekommen? Okay, sie fand ältere Männer schon immer interessanter, aber er war schon dreißig und sie erst achtzehn! Aber er war ein Mann, verdammt, und er stellte die ganzen Jüngelchen ihrer Freundinnen in den Schatten. Er strahlte Stärke aus, selbst wenn sie glaubte, dass sie ihn weichgemacht hatte. In seiner Nähe fühlte sie sich einfach super, dabei hatte sie das Gefühl, dass sie ihn nie würde ganz ergründen können. Es würde immer ein Geheimnis an ihm bleiben. Das fand sie aufregend.
Sie legte ihren Kopf schief, betupfte
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