Eiskalte Versuche
Schreibtisch ging.
„Sobald das Ergebnis feststeht, gibt es kein Zurück mehr. Das ist euch klar, oder?“
Die anderen nickten.
Er entfaltete das erste Papier.
„Ja. Es steht ein Ja darauf.“
Er legte das Blatt zur Seite, nahm das nächste und faltete es sorgfältig auf.
„Nein.“
Er nahm wieder ein Papier, dann noch eines. Zwei Jastimmen standen gegen zwei Neinstimmen. Im Zimmer herrschte vollkommene Ruhe, nur gelegentlich unterbrochen durch ein scharfes Einatmen und das Geräusch von knisterndem Papier.
„Dies ist die letzte und entscheidende Stimme. Was immer auf dem Zettel steht …“
„Nun mach schon!“ rief Jasper.
David nickte und entfaltete das Blatt. Seine Nasenflügel bebten, und sein Gesicht wurde ausdruckslos. Er sah hoch.
Die Männer hielten den Atem an.
„Ja.“
Lautes Luftholen war zu hören. Es zeugte ebenso sehr von Verblüffung wie von einem Sich-Ergeben in das Unvermeidliche.
„Das hätten wir“, sagte David. „Unternehmen wir einen letzten Versuch.“
„Für Samuel“, fügte Jasper hinzu.
„Und für Frank“, sagte Rufus.
Sie nickten und standen auf. Wortlos verließen sie das Zimmer und gingen in ihre eigenen Räume, um sich für das Frühstück anzukleiden. Es lag Arbeit vor ihnen.
Isabella reichte dem Paar, das sich eben angemeldet hatte, den Zimmerschlüssel, wies den Weg zum Aufzug und sah ihnen nach, als sie davongingen. Sie musste keine Fragen stellen. Die beiden waren wegen der Klinik hier. Im Laufe der Jahre hatte sie zahllose Paare wie dieses gesehen und kannte den stummen Ausdruck der Verzweiflung in den Gesichtern bereits. Isabella sprach ein stilles Gebet, dass ihnen Erfolg beschieden sein mochte, und speicherte die Daten der Kreditkarte ab. Das Telefon läutete. Sie griff nach dem Hörer. Dadurch sah sie nicht, dass Jack Dolan die Treppe herunterkam.
Er hatte ihre Stimme schon oben gehört. Obwohl er es kaum erwarten konnte, ein kräftiges Frühstück zu bekommen, hatte er sie vorher unbedingt wiedersehen müssen – bei hellem Tageslicht, um ganz sicher zu sein, dass sie kein Geist war, wie er zuerst fast geglaubt hatte.
„Guten Morgen.“
Isabella drehte sich um. Vor ihr stand der Mann, dem sie letzte Nacht in der Halle begegnet war. Das Erste, was sie bei seinem Erscheinen empfand, war Überraschung. Gestern Abend war sie so sehr in ihrem eigenen Kummer gefangen gewesen, dass sie Jack Dolan kaum Beachtung geschenkt hatte. Für sie war er ein hungriger Gast gewesen, der sich in dem großen Haus verirrt hatte. Sie hatte ihm ein Sandwich gemacht und ihn wieder weggeschickt. Jetzt schien die frühe Morgensonne durch die Sprossenfenster der Eingangstür, und die Helligkeit erlaubte ihr, ihn genauer zu betrachten. Isabella holte tief Luft. Der Anblick lohnte sich.
Jack Dolan war groß – sogar größer als ihr Onkel David mit seinen ein Meter neunzig. Sein dichtes glattes Haar, das er sehr kurz geschnitten trug, war von einem warmen Schokoladenbraun. Seine Augen waren blau. Anscheinend kniff er sie oft zusammen. Die Fältchen in den Augenwinkeln deuteten darauf hin. Er hatte den Körperbau eines Läufers, schlank und drahtig; an ihm war kein Gramm Fett zu viel. Seine Schultern waren breit, und breit war auch das Lächeln, das er ihr schenkte, als er sich über den Empfangstresen zu ihr beugte.
„Einen guten Morgen auch für Sie“, erwiderte Isabella. „Ich nehme an, nach Ihrem Mitternachtsimbiss haben Sie gut geschlafen?“
Jacks Blick glitt über ihre hohen Wangenknochen und die anmutige Kurve ihres Halses. Dann sah er wieder in ihr Gesicht und suchte nach Anzeichen der Erschöpfung, die er gestern an ihr wahrgenommen hatte. Sie waren noch zu erkennen hinter ihrem Lächeln.
„Vermutlich habe ich besser geschlafen als Sie“, sagte er. „Und ich möchte noch einmal betonen, wie Leid es mir tut, dass Sie diese Verluste ertragen mussten.“
Der dumpfe Schmerz, der ihr Herz zusammenpresste, ließ nach. Sein Mitgefühl verschaffte ihr für einen Augenblick Erleichterung.
„Danke.“ Sie wechselte das Thema. „Ich nehme an, Sie wollen frühstücken. Der Speisesaal liegt hinter der Halle. Die Glastür links.“
Sie hatte ihn höflich abgefertigt und entlassen. Jack dankte ihr mit einem Nicken und wandte sich vom Empfang weg. In diesem Moment verließ eine merkwürdige Gruppe älterer Herren den Aufzug und bewegte sich auf den Tresen zu.
„Isabella … Liebes … du musst doch nicht um diese Zeit schon arbeiten. Wo ist Delia?“
Isabella
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