Eiskalte Versuche
seiner Tätigkeit war er noch nie einer Frau von solcher Entschlossenheit begegnet. Ganz gleich, wie oft sie enttäuscht worden war, hatte sie weder Vorwürfe geäußert noch war sie zusammengebrochen. Der Gynäkologe sah von Leonardo zu Maria und wieder zurück. Er tippte mit seinem Stift auf die Schreibtischplatte und kämpfte mit sich selbst, ob er diesem Paar irgendwelche Hoffnungen machen durfte, die sich als falsch erweisen könnten. Andererseits war er Mediziner und sah sich verpflichtet, sein ganzes Wissen zur Verfügung zu stellen.
„Ich persönlich habe alles in meiner Macht Stehende für Sie getan. Aber ich kann Ihnen eine Klinik nennen, die sich auf Paare wie Sie spezialisiert hat. Die Erfolgsquote ist recht ermutigend. Jedoch … weiß ich nicht, was eine Behandlung dort kostet. Es könnte sein, dass die Summe Ihre Mittel übersteigt.“
Leonardo sah, wie für einen flüchtigen Moment ein hoffnungsvoller Ausdruck im Gesicht seiner Frau aufleuchtete. Mehr brauchte er nicht. Er legte die Hand auf ihre Schulter und drückte sie sanft.
„Es wird nicht schaden, wenn wir uns erkundigen. Falls sich die Behandlung als zu teuer erweist, können wir uns immer noch anders entscheiden. Wir sind einen so weiten Weg gegangen. Ich sehe keinen Grund, warum wir nicht auch die letzten Möglichkeiten ausschöpfen sollten.“
Tränen traten in Marias Augen, als sie den Blick des Arztes erwiderte, doch ihre Stimme klang fest.
„Diese Klinik … wo ist sie?“
„In Braden, Montana.“
Leonardo riss die Augen auf. „So weit weg?“
Dr. Worth nickte. „Ich weiß, es ist ein langer Weg von Queens in New York nach Montana. Aber wenn Sie noch immer bereit sind, alles für Ihr Glück zu versuchen, sollten Sie diese Reise in den Westen unternehmen.“
„Brauchen wir eine Empfehlung?“ fragte Maria.
„Darüber bin ich nicht informiert. Aber ich rufe gern in Braden an und vereinbare einen Termin für Sie. Teilen Sie meiner Sprechstundenhilfe mit, wann Sie reisen können. Ach, noch eines … stellen Sie sich auf einen längeren Aufenthalt ein. Es werden die verschiedensten Untersuchungen notwendig sein.“
Die Handtasche an sich pressend, erhob sich Maria Silvia und blickte ihren Mann an. Er lächelte und nickte. Sie wandte sich wieder an den Arzt. Ihre Stimme klang kraftvoll und entschlossen.
„Wir werden Ihnen morgen im Laufe des Tages Bescheid geben“, sagte sie.
„Schön. Sobald ich weiß, wann Sie reisefertig sind, kann ich alles für Sie arrangieren.“
Leonardo schüttelte Dr. Worth die Hand. „Danke, Doktor.“
„Noch gibt es nichts, wofür Sie mir danken können“, erinnerte der Arzt ihn.
Leonardo lächelte. „Das stimmt nicht. Sie haben uns neue Hoffnung geschenkt.“
Der folgende Tag war ein Sonntag. Leonardo musste arbeiten, aber Maria war schon seit Tagesanbruch mit ihm zusammen auf den Beinen, richtete ihre Frisur und bügelte ihr bestes Kleid.
„Was machst du so früh, Maria
mia?
Willst du zu deiner Mamma?“
Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Ich gehe in die Kirche.“
„Wir waren doch gestern in der Messe.“
Sie nickte, hängte das Kleid an den Schrank und zog den Stecker des Bügeleisens ab.
„Ja, ich weiß. Aber ich gehe heute Morgen noch einmal hin. Es gibt etwas, das ich Gott sagen muss.“
Leonardo nahm seine Frau seufzend in die Arme.
„Maria … wir haben darum gebetet, Gott möge uns mit der Fruchtbarkeitsklinik den richtigen Weg weisen, und wir haben gelobt, dass wir annehmen, was immer kommen mag. Meinst du nicht, er hat uns verstanden?“
Mit aufeinander gepressten Lippen wandte sie sich zur Kommode und suchte in der Wäsche.
„Das hat er“, sagte sie, nahm ein Unterkleid heraus und streifte es sich über den Kopf. „Aber ich habe vergessen, ihm etwas zu sagen.“
Leonardo lächelte in sich hinein und beobachtete seine Frau, wie sie in den begehbaren Kleiderschrank trat und ein Paar Schuhe suchte. Maria unterhielt sich mit Gott auf die gleiche selbstverständliche Art, wie sie miteinander sprachen. Der einzige Unterschied war, dass sie die Stimme des Herrn nicht mit den Ohren wahrnahm, sondern seine Antworten aus den Ereignissen in ihrem Leben herauslas.
„Welche wichtige Einzelheit könnte das sein?“ fragte er.
Maria trat aus dem Schrank, ein Paar schwarze Lederpumps in der Hand. Sie bückte sich, umgriff Halt suchend den Türknauf und zog die Schuhe an. Dann richtete sie sich wieder auf und hielt ihren Ehemann mit einem eindringlichen Blick fest.
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