Eiskalter Sommer
den Oberbürgermeister und den Landtagsabgeordneten Ostendorff angerufen. Der OB war unerwartet zurückhaltend gewesen, so dass Dorn ihm nicht mehr als die üblichen Worte hatte entlocken können, die das Stadtoberhaupt bei Werksschließungen für die Öffentlichkeit bereithielt. Dafür war Ostendorff um so auskunftsfreudiger gewesen. Zwar hatte auch er zur Schließung des Fisch verarbeitenden Betriebes nur ein paar Allgemeinplätze über das unternehmerische Risiko parat, sich aber dann zu einer Andeutung hinreißen lassen, dass demnächst in Cuxhaven durch einen Bremerhavener Investor neue Arbeitsplätze geschaffen werden könnten.
Weil er mit seiner Kollegin Anne Tietjen von der Nordseezeitung gelegentlich Informationen austauschte, hatte er ihr sie angerufen und ihr von der Andeutung des Abgeordneten berichtet. Anne stellte genau die Frage, mit der er sich gerade beschäftigte: „Hat Ostendorff konkrete Zusagen für seine frohe Botschaft in der Hand?“
„Das habe ich ihn natürlich auch gefragt. Ich hatte das Gefühl, dass er mehr weiß, als er mir verraten hat. Aber natürlich gibt so einer seine Quellen ebenso wenig preis wie wir. Jedenfalls rechnet er fest mit der Ansiedlung eines Stahlbauzentrums in Cuxhaven. Wenn das Unternehmen in die Produktion von Fundamenten und Turmsektionen für Offshore-Windparks investiert, will er sich dafür einsetzen, dass das Land planungstechnisch und finanziell mitzieht. Angeblich steht der Wirtschaftsminister dem Projekt positiv gegenüber.“
„Klingt noch ziemlich vage“, wandte Anne ein.
„Das habe ich ihm auch vorgehalten.“
„Und?“
„Er meinte, ich könnte seinem politischen Instinkt vertrauen. Aus Vorgesprächen mit unserem OB entnimmt er, dass sich alle Beteiligten ausnahmsweise einmal einig sind. Demnächst wird ein öffentliches oder wenigstens halböffentliches Hearing beim nautischen Verein stattfinden, auf dem Einzelheiten präsentiert werden sollen.“
„Na gut. Warten wir’s ab.“
„Ich werde natürlich nicht warten, Anne, sondern schon mal ein paar Details erkunden. Vielleicht kannst du dich auch mal umhören. Wenn die CuxFrisch tatsächlich den Bach runtergeht, wären neue Arbeitsplätze nicht nur gut für Cuxhaven, sondern auch das nächste Thema für uns.“
„Womit du sicher recht hast, Felix. – Übrigens solltest du dich noch mal mit diesem Evers unterhalten. Ich hatte das Gefühl, dass der uns auch nicht alles gesagt hat. Und über eine Freundin, deren Schwester bei CuxFrisch arbeitet, habe ich läuten hören, dass die Belegschaft irgendetwas plant. Sie hat aber nicht erfahren, was.“
„Danke für den Hinweis, Anne. Daraus lässt sich immerhin eine Frage formulieren. Und mit Evers spreche ich noch.“
Nachdem Felix Dorn aufgelegt hatte, ergänzte er seinen Text und wählte die Nummer der CuxFrisch. Während er auf das Rufzeichen lauschte, korrigierte er ein paar Fehler in seinem Artikel und passte die Länge auf die Vorgaben des Layouts an.
Da sich niemand meldete, versuchte er es bei Evers’ Privatnummer. Ohne Erfolg. Er nahm sich vor, den Betriebsrat aufzusuchen. Für die morgige Ausgabe war es sowieso zu spät. Wenn an dem Hinweis seiner Kollegin etwas dran war, gäbe es übermorgen einen Anschlussartikel. Und das wäre auch nicht schlecht.
Noch einmal überflog er seinen Text.
„Nach 30 Jahren Arbeit landen wir auf der Straße“
Firma CuxFrisch stellt am 31. August Fischverarbeitung ein.
Von Felix Dorn
„Man hat uns von einem Tag auf den anderen vor vollendete Tatsachen gestellt. Und das, obwohl wir mit Banken und Betriebsleitung einen Sanierungsplan für die Sparte ausgearbeitet haben.“ CuxFrisch-Betriebsrat Evers drückt die Enttäuschung seiner Kolleginnen und Kollegen sehr gemäßigt aus. In der Belegschaft kursieren andere Vokabeln für das Vorgehen der Verantwortlichen. Vieles ist nicht zitierbar, aber aus den Worten wird deutlich, was die von der Entlassung Bedrohten empfinden. Nicht wenige arbeiten 30 und mehr Jahre in ihrer Firma, haben sie seinerzeit mit Inhaber Knud Behrendsen zu einer der erfolgreichsten Fisch verarbeitenden Betriebe in Cuxhaven gemacht. Nun sollen sie auf die Straße gesetzt werden, weil die Banken die Kredite gekündigt haben. Von den angekündigten Maßnahmen der Agentur für Arbeit erwarten sie nicht viel. „Angst vor Hartz IV, das ist alles, was uns bleibt“, sagt Carlos Rodriguez. Der sechsundfünfzigjährige Portugiese gehört seit 1975 zur Belegschaft. „Aber die
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