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Eiskalter Sommer

Eiskalter Sommer

Titel: Eiskalter Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf S. Dietrich
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wirst ja nicht weiter in den zwei Zimmern hausen und den Rest der Wohnung ungenutzt lassen wollen. Ich stelle mir vor, dass wir dir ein Schlafzimmer und ein Arbeitszimmer nach deinen Bedürfnissen einrichten. Wohnzimmer und Wintergarten, Flur und Küche gestalten wir gemeinsam. Und dann wären da noch zwei Zimmer ...“
    „Ja?“ Sein Herz hatte geklopft.
    „... die man erst mal so lassen könnte, wie sie sind. Oder ...“
    „Oder?“
    „Oder wir richten sie so ein, dass sich dort eine Frau wohlfühlen könnte.“
    Er musste ziemlich verdattert ausgesehen haben, denn Sabine hatte laut gelacht.
    „Ich dachte“, hatte er gestottert, „du hättest ... du wolltest ... deine Unabhängigkeit ...“
    „Natürlich behalte ich meine Wohnung, Konrad. Vorerst. Aber erstens möchte ich dich auch mal besuchen können, ohne auf dem Sofa nächtigen zu müssen, und zweitens kann sich ja meine Sicht der Dinge ändern. Vielleicht will ich eines Tages mit dir zusammenziehen. Oder hältst du das für völlig ausgeschlossen?“
    Plötzlich war alles so einfach gewesen. Glasklar und unbeschwert zugleich hatte er seine Zukunft gesehen.
    Auf der Rückfahrt nach Cuxhaven war der Dialog immer wieder in seinem Kopf abgelaufen. Warum war er nicht auf die Idee gekommen? Warum hatte er sich so schwer getan, überhaupt mit Sabine über die gemeinsame Zukunft zu reden?

    Auch wenn sich die Sommerhitze in den Nächten kaum abschwächte, hatte er tief und fest geschlafen und fühlte sich frisch und voller Energie. Seine Kollegin empfing ihn mit einem fröhlichen Gruß. Sie wirkte ebenfalls unternehmungslustig.
    „Hattest du ein schönes Wochenende, Marie? Du wirkst so fröhlich.“
    „Danke gleichfalls, Konrad. Ja, mein Wochenende war okay. Und ich habe eine Überraschung mitgebracht. Möchtest du sie gleich sehen? Oder verrätst du mir erst, wem wir deine gute Laune verdanken? Sabine?“
    Röverkamp nickte. „So ist es, Marie. Aber was hast du mitgebracht? Kuchen von deiner Mutter?“
    Sie schüttelte den Kopf, zog eine Videokassette hervor und wedelte damit herum. „Wir brauchen einen Rekorder. Kommst du mit ins Besprechungszimmer?“

    *

    Am Morgen waren Blutflecken auf seinem Kopfkissen gewesen. Eine alte Gewohnheit hatte sich wieder eingestellt und war zum unbewussten Ventil seiner inneren Anspannung geworden: Ostendorff hatte so heftig und ausdauernd auf seine Unterlippe gebissen, dass sie geblutet hatte. Wieder war an Schlaf nicht zu denken gewesen. Beunruhigende Bilder hatten ihn geplagt. Szenen aus einem lange zurückliegenden Winter. Eine unendliche Schneewüste. Erregende Tänze in einer bäuerlichen Stube. Ein brennender Stall. Brüllende Rinder. Der eiskalte Sitz auf einem dröhnenden Traktor.
    Und immer wieder dieses Foto, das ihm die Polizei vorgelegt hatte. Musste das Kind so unbedarft daherplappern? Da Julia ihn erkannt hatte, konnte seine Reaktion vielleicht nicht wirklich überzeugt haben. Dennoch hatten sich die Beamten mit seiner Auskunft zufrieden gegeben. Ob sie noch über andere Informationen verfügten?
    Ruhelos hatte er sich im Bett gewälzt, war schließlich aufgestanden und wie ein Getriebener durch das Haus gewandert. Weder Bier noch Schlaftabletten hatten die erhoffte Nachtruhe gebracht. Erst gegen Morgen war er eingedämmert. Im Traum hatte er eine Beisetzungszeremonie erlebt. Aber es war nicht Christine gewesen, deren Sarg er gefolgt war. Oder doch? Die Erinnerung war allzu rasch verblasst.
    Ostendorff fühlte sich matt und zerschlagen. Auf dem Nachtschrank fand er einen Zettel. „Bin mit Stefanie nach Hamburg gefahren. Christine.“ Wer war Stefanie? Ach ja, diese Freundin aus dem Tennisclub. Gut, dass Christine nicht da ist! Er schlurfte ins Bad. Der Spiegel zeigte ihm ein zerknittertes Gesicht mit dunklen Augenringen.
    Nach einer gründlichen Morgentoilette und einem eiligen Frühstück fühlte er sich besser. Er spürte, wie die Lebensgeister zurückkehrten. Entschlossen, seine gewohnte Handlungsfähigkeit zurückzugewinnen, begab er sich ins Arbeitszimmer und schaltete den Computer ein, um die aktuellen E-Mails abzufragen. Als eine Nachricht auftauchte, die nur aus einem Bild bestand, begann sein Herz zu rasen. Mit feuchter Hand führte er den Mauszeiger auf den Anhang, um ihn zu öffnen. Die Frau auf dem Foto war nicht Christine.
    Julia hockte im Sand und starrte abwesend vor sich hin.
    Eine Welle aus Wut und Verzweiflung wogte durch Ostendorff. Der Mistkerl lauerte seiner Tochter auf. Es musste

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