Eiskalter Wahnsinn
auf Henry, der auf dem Weg zur Kaffeebar jedoch allen Fragen auswich.
„Ich gehe besser hin und rette ihn“, sagte Rosie lächelnd.
Während Rosie ihren Mann begrüßte, bemerkte Lillian ihren Bruder Wally aus dem Hinterausgang schleichen. Und er hatte noch nicht einmal seine tägliche Bärentatze und das Glas Milch gehabt.
17. KAPITEL
Sheriff Henry Watermeier schob sich an Kameras und rufenden Reportern vorbei. Die hübsche Kleine mit den dicken Brillengläsern war ihm überall hin gefolgt. Vorhin hatte sie im Buchladen auf ihn gewartet, als wüsste sie, dass er jeden Morgen dort vorbeischaute. Aber jetzt hatte sie einen Kameramann dabei, und die Kamera lief. Er merkte es daran, dass sie ihre dicken Brillengläser, die dem Boden einer Colaflasche nicht unähnlich waren, abgenommen hatte. Das tat sie immer, sobald die Kamera eingeschaltet wurde. Er fragte sich, wie sie mit diesen Brillengläsern ausgerechnet im Nachrichtenjournalismus gelandet war.
„Sheriff Watermeier, stimmt es, dass mehr als hundert Leichen im Steinbruch begraben sein könnten?“
„Hundert Leichen?“ Er lachte. Das war zwar keine angemessene Reaktion angesichts der Morde, doch ihre Frage war einfach lächerlich. „Das wollen wir doch nicht hoffen.“
„Was ist dran an den Gerüchten, einige Leichen seien Kannibalismus zum Opfer gefallen. Können Sie sich dazu äußern, Sheriff?“
Er unterließ es, die Augen zu verdrehen. „Wir werden versuchen, später einige Ihrer Fragen zu beantworten, wenn wir mehr wissen.“
Er ging weiter, ohne sich umzudrehen – trotz der auf ihn eindonnernden Fragen, trotz klickender Fotoapparate und summender Videokameras. Er wusste, dass er sich den Medien stellen musste, und zwar bald. Vorhin hatte er einen Anruf von Randal Graham erhalten, dem Assistenten des Gouverneurs. Und der gute alte Randal hatte ihn angewiesen, die Angelegenheit auf kleiner Flamme zu kochen. Laut Randal war der Gouverneur hochgradig besorgt, die landesweiten Medien könnten diese Morde als die schlimmsten Serientötungen in der Geschichte Connecticuts einstufen.
Er hätte diesem Wiesel Graham gern gesagt, dass das wahrscheinlich sogar stimmte. Und wenn er die Sache auf kleiner Flamme gekocht haben wollte, dann solle er seinen Hintern gefälligst herbemühen und selbst dafür sorgen. Stattdessen hatte er dem Assistenten des Gouverneurs erwidert, dass er alles unter Kontrolle habe. Mit anderen Worten, er hatte gelogen.
Dicker Taubelag glitzerte in der Morgensonne auf dem hohen Gras, als er den Steinbruch betrat. Hier konnte er die Reporter nicht mehr hören, da Felsen und Bäume das Gebiet abschlössen. Henry sah sich um. Das zurückgelassene, verrostete Transportbandsystem oberhalb der strahlend gelben Planierraupe von Vargus und Hobbs wirkte an diesem abgeschiedenen Ort deplatziert. Es war wirklich schön hier. Riesige Trittstufen führten die Bergwand hinauf, geschützt von dichtem Immergrün sowie Eichen- und Walnussbäumen mit gelben und orangeroten Blättern. Er musste dem Täter zugestehen, klug gewählt zu haben, als er den Steinbruch zu seiner Deponie machte.
Er hielt sich zunächst von den Aktivitäten fern und beobachtete, wie Bonzado und seine Studenten Ausrüstung von der Ladefläche seines El Camino luden. Die drei Studenten – eine Frau und zwei junge Männer – waren recht unauffällig. Die Farbenprächtigkeit ihres Professors, der heute ein Hawaiihemd in Pink und Blau, dazu Khakihosen und braune Wanderstiefel trug, ging ihnen völlig ab. Henry musste schmunzeln. Er mochte Bonzado, und er vertraute ihm, was er von seinen eigenen Männern nicht behaupten konnte. Die meisten seiner Leute hatten, außer nach Autounfällen, nie blutige Körper gesehen. Er wusste, dass er sich auf die Leute vom kriminaltechnischen Labor verlassen konnte, aber seine Deputys waren unsichere Kantonisten. Wie aufs Stichwort sah er Truman einen Reporter anschreien. Auch das noch! Henry erkannte den Mann von NBC News. Na, wunderbar! Das würde sich heute Abend in den Nightly News mit Tom Brokaw gut machen.
Die ganze Sache war eine einzige Scheiße. Nicht mal Rosie konnte ihr etwas Positives abgewinnen. Er brauchte jemanden, dem er notfalls die Schuld zuschieben konnte, falls die Ermittlung den Bach runterging. Einen Experten, an dem niemand zweifelte. Dr. Stolz kam dafür schon mal nicht in Frage. Er sah, wie der Rechtsmediziner sich den Weg durch die Reporter bahnte, wieder mal gekleidet, als ginge er ins Gericht: Anzug mit Krawatte
Weitere Kostenlose Bücher