Eiskalter Wahnsinn
den Nachrichten erfährst, da gibt es etwas, das du wissen solltest. Gestern Morgen wurde in einem Steinbruch außerhalb von Wallingford eine Frauenleiche entdeckt.“
„Oh mein Gott! Es ist Joan, oder?“
Maggie mochte nicht hören, welche Panik in Gwens Stimme mitschwang. Immerhin blickte sie zu dieser Frau auf, wenn sie Stärke und Unterstützung brauchte.
„Nein, das weiß ich nicht. Ich hätte es nicht erwähnt, wenn es nicht bereits in den landesweiten Nachrichten gebracht worden wäre. Man hat sie noch nicht identifiziert. Ich habe versucht, den Sheriff zu erreichen, der die Ermittlung leitet. Er soll mich zurückrufen, aber ich stehe sicher am Ende einer sehr langen Liste.“ Maggie stopfte sich das Handy wieder zwischen Hals und Schulter, während sie für die Stewardess Ausweis und Ticket bereithielt. „Gwen, ich muss jetzt an Bord. Ich rufe dich an, sobald ich etwas weiß, okay?“
„Maggie, danke, dass du das tust. Ich hoffe, es ist nicht Joan, aber ich muss dir gestehen, ich habe kein gutes Gefühl bei der Sache.“
„Versuch dir keine Sorgen zu machen. Ich melde mich wieder.“
Sie schob das Handy in die Tasche, als die Stewardess nach ihrem Ticket griff.
Endlich an Bord, suchte sie wieder in allen Taschen – warum war sie plötzlich so unorganisiert? – nach dem Taschenbuch, das sie am Flughafen erstanden hatte: Lisa Scottolines neuesten Gerichtskrimi. Ihr letzter hatte sie während des Flugs glatt vergessen lassen, dass sie sich 38000 Fuß über der Erde befand. Mit dem Buch entdeckte sie auch den Briefumschlag, den sie in letzter Minute in ein Seitenfach geschoben hatte, als sie sich entschloss, die Akte daheim zu lassen.
Sie schob ihr Bordcase ins Gepäckabteil über dem Kopf und quetschte sich in den Fenstersitz. Eine kleine grauhaarige Frau zappelte nervös auf dem Nachbarsitz herum. Maggie öffnete ihr Taschenbuch, um zu lesen, doch ihr Blick blieb auf dem Briefumschlag haften.
Gwens Bemerkung, sie solle einen gewissen Herrn in der Nachbarschaft besuchen, hatte sich offenbar auf Nick Morelli bezogen. Der Vorschlag kam nicht von ungefähr. Nick lebte in Boston, vermutlich nur eine Autostunde vom Herzen Connecticuts entfernt. Die kleine Romanze, die sich vor einigen Jahren bei gemeinsamen Ermittlungen zwischen ihr und Nick entwickelt hatte, war jedoch während ihres langen Scheidungsverfahrens im Sande verlaufen. Sie hatte keine neue Beziehung eingehen wollen, ehe die Scheidung nicht ausgesprochen war. Weniger aus rechtlichen Gründen als vielmehr, weil sie sich dem emotionalen Stress nicht gewachsen fühlte.
Wenn sie ehrlich war, musste sie jedoch zugeben, dass sie ihren Gefühlen für Nick Morelli nie richtig getraut hatte – zu leidenschaftlich und zu intensiv waren sie gewesen. Was ihnen an gemeinsamen Interessen fehlte, hatten sie an gegenseitiger Anziehung wettgemacht. Die Chemie zwischen ihnen hatte nicht nur gestimmt, ihre Gefühle waren geradezu explodiert. Das genaue Gegenteil hatte sie in ihrer Ehe mit Greg erlebt. Vielleicht hatte vor allem das sie an Nick so angezogen.
Dann im letzten Jahr, irgendwann vor dem Erntedankfest, hatte sie Nick angerufen. Eine Frau hatte sich gemeldet und ihr mitgeteilt, Nick könne nicht ans Telefon kommen, weil er unter der Dusche stehe. Von da an hatte sie Distanz gewahrt, was sich in immer selteneren Anrufen, versäumten Rückrufen oder nicht beantworteten Nachrichten auf dem Anrufbeantworter ausdrückte.
Sie hatte nicht von Nick verlangt, dass er auf sie wartete, bis sie frei war. Auch wenn sie über die Frau am Telefon ein wenig überrascht gewesen war – und, zugegeben, auch ein wenig gekränkt –, hatte die Entdeckung, dass er sein Leben ohne sie fortsetzte, in den Tagen danach auch etwas Erleichterndes gehabt. Sie fühlte sich in ihrem Entschluss bestärkt, dass es besser war, allein zu bleiben, wenigstens für eine Weile.
Die Stewardess unterbrach ihre Gedanken mit den Notfallanweisungen, die Maggie geflissentlich ignorierte. Die Frau neben ihr suchte jedoch fieberhaft in der Sitztasche vor ihr nach den Sicherheitsempfehlungen. Maggie nahm ihr Exemplar heraus und reichte es der Frau, die eifrig mit dem Zeigefinger die Liste durchging, um ja nichts zu versäumen.
Maggie öffnete endlich ihr Taschenbuch und begann zu lesen, wobei sie den Briefumschlag als Lesezeichen benutzte.
16. KAPITEL
Lillian Hobbs kam mit einem Arm voll Taschenbücher und setzte sie vorsichtig auf dem Auslagentisch ab, wo Rosie gerade ein neues
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