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Eiskaltes Herz

Eiskaltes Herz

Titel: Eiskaltes Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Rylance
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Tür und einen hysterischen Moment lang dachte ich, er wolle hereinkommen und mich verprügeln.
    »Was willst du denn?« Es kam als ein Quieken heraus.
    »Es ist wegen deiner Kette. Die du unter meinem Bett deponiert hattest.«
    Wollte er die zurück? Ich verstand überhaupt nichts mehr.
    »Ich bin gestern unter mein Bett gekrochen«, sagte er.
    Ich nickte, als wäre das die logischste Erklärung der Welt für sein plötzliches Auftauchen.
    »Weil ich dachte, du hättest vielleicht noch mehr Zeug dorthin gelegt. Und dass du dann andauernd kommst, um es zu holen.« Er biss sich auf die Lippe.
    »Aha.« Das ergab natürlich Sinn. Ich war ja Psycho-Lena.
    »Kannst du mich nicht reinlassen?« Er sah sich flüchtig um.
    »Ist es dir peinlich, wenn jemand sieht, dass du bei mir bist?«, fragte ich zurück.
    »Nein.« Seine Stimme klang rau. »Ich will nur nicht, dass die ganze Nachbarschaft mithört.«
    Am Ende der Straße war jemand zu sehen, ein Mann, vielleicht auch ein Junge, die Kapuze des Sweatshirts tief ins Gesicht gezogen. Er schien auf jemanden zu warten.
    »Komm rein.« Ich trat zur Seite, machte aber keine Anstalten, ihn in die Küche zu bitten. Wir blieben im Flur stehen, direkt neben der Garderobe.
    »Unter dem Bett lag noch was.« Leander griff in seine Tasche.
    »Das kann nicht sein«, protestierte ich sofort.
    »Nicht von dir. Von Vanessa. Ihr Handy.« Er hob die Hand hoch und zeigte mir ein schwarzes Telefon.
    »Vanessas Handy?« Ich erinnerte mich kurz an das rote iPhone, das am Morgen nach der Walpurgisnacht neben der toten Vanessa gelegen hatte. »Das war doch rot.«
    »Vanessas zweites Handy.«
    »Okay. Dann hatte sie zwei Handys. Sie hatte garantiert auch zwei Taschen und zwei Paar Schuhe – wenn ich richtig informiert bin, hatte sie sogar zwei Häuser.«
    »Hör doch mal zu.«
    Ich verschränkte demonstrativ die Arme vor der Brust.
    »Ich hab es mir angesehen. Es ist … irgendwie komisch. Komische Kontakte. Die Namen sind … Also, es sind keine Namen. Nur Buchstaben.« Er strich mit dem Finger über das Handy-Display. »Soll vielleicht kryptisch oder ein Witz sein, ich verstehe es jedenfalls nicht.«
    »Zeig mal.« Ich streckte die Hand aus. »Ist das überhaupt wirklich ihres? Und wieso lag es unter deinem Bett?«
    »Weil sie es in meinem Zimmer verloren hat, nehme ich an. Allerdings …« Er stockte.
    »Was?«
    »Es lag ganz weit hinten. Als hätte jemand es dorthin geschoben .«
    »Du meinst, sie hat es absichtlich dorthin gelegt? Wie hast du es überhaupt öffnen können? Die meisten Leute haben doch eine Pin-Nummer?«
    »Und die meisten Leute nehmen ihren Geburtstag. Vanessa war da keine Ausnahme.«
    Ich betrachtete das Ding. Es war ebenfalls ein iPhone, genau wie meins. Und es war ihres, in den Einstellungen stand Vanessas Hand y. Aber das Handy war seltsam leer. Nur die üblichen Dinge – Wetter, Kalender, Kompass, Notizen. In den Notizen stand etwas, das wie ein Eintrag aus einem Musiklexikon klang: Das Nussknacker-Ballett wurde 1892 zum ersten Mal im Mariinski-Theater aufgeführt. Das war – so abstrus es auch klang – alles. Nichts Persönliches, keineSpiele, keine Millionen von Apps wie bei allen anderen iPhone-Besitzern, die ich kannte, mich selbst eingeschlossen. Facebook war drauf, aber da fehlte natürlich das Passwort. Eine einzige App namens VS, ebenfalls passwortgesichert. In den Kontakten befanden sich nur ungefähr zehn Namen. Das allein war schon seltsam, denn Vanessa kannte mindestens zweitausend Leute. Ich fing an zu lesen, stutzte und las weiter. Ich verstand jetzt, was Leander meinte. Nur Buchstaben und ihre Nummern. Keine vollen Namen. Jemand namens M ., namens B ., ein L ., ein S .
    »Was soll das denn?«
    Er zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Das Einzige, was mir dazu einfällt, ist Reservoir Dogs . Der Film.«
    »Wo sie jemandem ein Ohr abschneiden?«
    »Genau. Da reden sich die Typen nur mit Mr White und Mr Brown und so an. Damit sie ihre Namen nicht verraten.« Er räusperte sich kurz. »Vanessas Lieblingsfilm. Sie ist das einzige Mädchen, das ich kenne, das den Film gut findet.« Er schloss kurz die Augen. »Kannte.«
    Ich fand den Film bescheuert, insofern hatte er recht. »Warum sollte Vanessa die Nummern von Leuten auf diese Art in ihrem Handy speichern? Wozu die Geheimniskrämerei?« Ich drehte das Handy um, als ob ich mir auf der Rückseite noch eine Erklärung versprach. Natürlich war da nichts. »Vielleicht ist M. ja Moritz. Und S. ist Sarah. Und

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