Eiskaltes Herz
Schwester sehen, neben ihr stand jetzt eine Frau, wahrscheinlich ihre Mutter, aber ich lief weiter. Warum hatte ich mich nur auf ein Gespräch eingelassen? Erfahren hatte ich nichts, außer, dass ein Verrückter sich immer mein Foto ansah. Und dass er nichts mit den Drogen zu tun hatte oder mit dem Ohrring. Angeblich. Aber irgendwas hatte er gesehen. Da war ich mir jetzt sicher. Verdammt sicher.
17
Mai
Ich sah mich in Tines Zimmer um. Seit der Trauerfeier hatten wir öfters miteinander telefoniert, ja sogar einmal wieder gelacht, als sie mir gebeichtet hatte, wie sehr ihr vor Wacken und dem Gedröhne der Metalbands graute. Aber so richtig zusammen abgehangen hatten wir schon ewig nicht mehr. Sie hatte nie Zeit, traf sich mit Gregor oder musste ihren Eltern bei der Hausrenovierung helfen. Auf ihrem Schreibtisch stand jetzt ein Foto von Gregor mit Gitarre, ein Paar neue blaue Korksandalen lagen auf dem Fußboden und auf dem Schreibtisch befanden sich irgendwelche Kataloge. An der Wand hingen Fotos von ihr, von ihr und Gregor, von uns und seit Neuestem auch von ihr und Nadine. Na gut. Ganz links oben befand sich immer noch das Foto von uns beiden, auf dem wir zehn Jahre alt waren und in identischen Secret Girls T-Shirts in die Kamera grinsten. Damals waren wir unzertrennlich, stritten uns fast nie. Eigentlich nur, wenn wir Spion spielten. Weil Tine sich viel besser merken konnte, wie Leute aussahen, welche Autos wo verdächtig lange parkten und so weiter. Dafürkonnte ich Secret Girls schon damals besser aussprechen.
»Willst du Schorle?«, rief Tine aus der Küche ihrer Eltern.
»Ja«, rief ich zurück. Ich schmiss mich in einen Bean-Bag auf dem Fußboden, kickte meine Schuhe weg und schloss kurz die Augen. Alles würde wieder ins Lot kommen. Zumindest zwischen mir und Tine, Nadine konnte mir gestohlen bleiben. Die Leute gingen langsam wieder zur Tagesordnung über, vielleicht redete Leander sogar irgendwann wieder neutral mit mir. Sein Herz würde kalt bleiben und meins zerrissen, aber ich konnte es nicht ändern.
»Und Schokolade«, schrie ich hinterher. Wenigstens hatte ich noch meine beste Freundin. In wenigen Monaten war das Schuljahr zu Ende und dann würde ich mit Tine San Francisco unsicher machen. Bei ihrer Tante. Schon vor Monaten hatten wir uns das ausgedacht, die ganze Zeit war ich ein bisschen unentschlossen gewesen, weil Leander alleine hierbleiben würde, aber diese Sorge hatte sich ja nun erledigt. Wir mussten unbedingt demnächst unseren Flug buchen. Je weiter weg ich von unserer Stadt war, umso besser. Dann musste ich auch nicht mehr damit rechnen, irgendwo auf diesen Ben zu treffen, dessen Gesicht ich dauernd in der Menge zu sehen glaubte und von dem ich mir sicher war, dass er ein paarmal bei mir zu Hause angerufen hatte. Zum Glück ging ich aus Prinzip nicht mehr ans Telefon, sodass er immer nur meine Eltern erwischt hatte,die verärgert »Hallo? Hallo, wer ist denn da?« gerufen hatten. Er musste Nachforschungen über mich angestellt haben, aber zum Glück war er nicht bis zu meiner Handynummer vorgedrungen.
Ich fand ihn schleimig und wollte nicht mehr darüber nachdenken, was es war, das er mir über den Abend am Hexenfelsen verschwieg. Ich wollte den Abend am liebsten aus meinem Kopf schneiden.
In der Küche schepperte es laut, Glas klirrte. »Mist«, fluchte Tine. »Sorry! Kleine Katastrophe, ich komme gleich.«
»Nur keinen Stress«, rief ich zurück. Ich stand wieder auf und griff mir den Katalog von ihrem Schreibtisch. Es waren keine Klamotten, es war ein Prospekt über San Francisco. Einige Sachen waren mit kleinen Kreuzchen markiert. Die Golden Gate Bridge , das Hippieviertel und Alcatraz , das Gefängnis auf der Insel. Na, da konnte Tine alleine hingehen. Hauptsache, ich lernte so viel Englisch wie möglich.
Tine kam herein, reichte mir ein Glas und ließ sich in den zweiten Bean-Bag fallen. Ich legte den Prospekt zur Seite.
»Extra für Wacken gekauft?« Ich deutete auf die Korksandalen.
Sie seufzte. »Hör bloß auf. Hoffentlich regnet es nicht. Das halte ich nicht aus. Metalmusik alleine ist ja schon schrecklich, aber Metal und Schlamm und fettige Haare …«
»Ach, Gregor wird dich schon trocken halten.«
Sie grinste. »Manchmal kann ich es immer nochnicht glauben, dass wir jetzt zusammen sind. Es gibt doch noch so was wie Schicksal.«
»Ja«, sagte ich. Es kam spröder heraus, als beabsichtigt. Tine merkte es sofort.
»Entschuldige«, sagte sie hastig. »Das hab ich
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