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Eiskaltes Herz

Eiskaltes Herz

Titel: Eiskaltes Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Rylance
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meinen Mathehefter auf den Tisch. Mithilfe des Internets würde ich diese blöden Aufgaben schon lösen. Es würde mir guttun, mich richtig in etwas zu vertiefen. Nur meine Tangens-Schablone konnte ich nicht finden. Verdammter Mist, das durfte doch nicht wahr sein, gerade jetzt, wo ich endlich mal die Kraft dafür aufbrachte. Entnervt stand ich wieder auf, schnappte meine Tasche und schwang mich draußen auf mein Rad, um noch mal vor zur Gottfriedstraße zu radeln, da war ein Laden für Bürobedarf, das würde schnell gehen.
    Natürlich dauerte es doch länger, weil vor mir eine Oma für ihren Enkel Schreibhefte kaufen wollte und sich dann nicht mehr erinnern konnte, welche Linierung es sein musste, und ihr überhaupt noch tausend andere Sachen einfielen und weil der kurzsichtige alte Zausel hinter dem Ladentisch alles in Zeitlupe in die Kasse tippte und mir außerdem drei falsche Schablonen anschleppte, ehe er die richtige fand. Ich riss sie ihm förmlich aus der Hand, damit er sie nicht noch umständlich einpackte.
    Wieder zu Hause stellte ich mein Rad in den Garten und schloss auf. Meine Eltern waren immer noch nicht da, aber das war mir sogar lieber. Etwas fiel mir allerdings auf: Das Küchenfenster stand weiteroffen als vorhin. Sperrangelweit. Hatte der Wind es aufgestoßen, während ich im Bürobedarf an der Kasse wartete?
    Welcher Wind? , flüsterte eine kleine Stimme in meinem Kopf. Die Luft ist schwül und totenstill da draußen . Ich machte das Fenster richtig zu und sah in den Flur. Das Haus war dämmrig, weil die Sonne draußen mit einem Male verschwunden und das Licht noch nicht eingeschaltet war. Die Küche war leer und sah genauso aus wie vorhin, die Türen zu den anderen Zimmern standen offen, irgendwo tröpfelte leise ein Wasserhahn. Plopp, plopp, plopp. Ich betrat die erste Treppenstufe. Etwas quietschte über mir und ich blieb stehen. Mir war, als ob mich ein kühler Luftzug streifte, dabei waren alle Fenster zu. Das Quietschen kannte ich. Das kam von der losen Holzdiele in meinem Zimmer. »Leander?«, fragte ich halblaut. Niemand antwortete. Ich schüttelte den Kopf und ging hoch in das Obergeschoss. Ich sah schon Gespenster.
    Die Tür zu meinem Zimmer stand sperrangelweit auf. Die hatte ich definitiv zugemacht. Was zum … Mein Fußboden lag voller Sachen – wie ein Déjà-vu, als hätte ich nie aufgeräumt. Meine Schubladen standen auf, der Inhalt rausgeschmissen, meine Schultasche ausgekippt, mein Hefter und meine Bücher vom Tisch gefegt. Es war vollkommen still, nur Mathilde raschelte träge in ihrer Kiste und das Plopp, Plopp, Plopp des Wasserhahns war weiterhin zu hören. Und eine Art schnappendes Atmen. Das kamvon mir, aus meinem Mund. Mit einem Satz war ich in meinem Zimmer. Es war leer. Oder? Ich drehte mich langsam im Kreis, mein Herz klopfte jetzt wie ein tollwütiger Specht. Jemand beobachtete mich, ich konnte es spüren. Aber von wo? Mein Zimmer war nicht so groß, die Vorhänge gingen nicht bis zum Boden, der Schrank war zu klein, unter das Bett passte niemand, die Tür stand weit auf. Die Tür … Hinter der Tür an der Wand. Ich starrte auf den dunklen Zwischenraum zwischen Wand und Tür, bis mir fast die Augen tränten. Davor hing mein Mantel, oben über die Tür geworfen. Vorhin hatte er noch am Haken an der Wand gehangen. Etwas knirschte. Als der Mantel plötzlich auf mich zuflog, schrie ich erschrocken auf und zuckte zurück, ich sah etwas Schwarzes, hörte ein kurzes Schnaufen, dann polternde Schritte, jemand rannte die Treppe runter. Ich zerrte den Mantel ab, vor Angst ganz starr, hörte die Tür unten krachen und kam endlich auf die Idee, aus dem Fenster zu sehen.
    Ich kannte ihn nicht, hatte ihn noch nie gesehen. Jedenfalls nicht von hinten. Braune Haare, stämmige kurze Beine, dunkler Pullover. Im Nu war er weg. Ich hatte nicht mal gesehen, wie alt er war, alles zwischen 12 und 50 war möglich. Ein Einbrecher. Ich hatte tatsächlich einen Einbrecher überrascht! Ich musste sofort die Polizei rufen, meine Eltern benachrichtigen. Entsetzt rannte ich runter, lief in alle Zimmer, sah überall nach, zuletzt im Wohnzimmer. Nirgendwo war auch nur ein Kissen verschoben. DerTyp hatte sich für mein Zimmer interessiert. Nur für mein Zimmer. Wie aus dem Nichts erklang die Stimme von Karolin Witsche in meinem Kopf: Gestern haben sie auch noch bei denen eingebrochen. In Vanessas Zimmer. Trophäenjäger oder so. Wollen alle noch ein Stück von ihr, als wäre sie ein

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