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Eismond: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)

Eismond: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)

Titel: Eismond: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
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drinnen aussah, aber er war ganz sicher, dass es dem entsprach, was ihm gefiel.
    Er würde den Polizisten fragen, warum er so traurig war.
    Er richtete sich auf, als in der Küche das Licht angeschaltet wurde. Er sah den Polizisten, der Polizist starrte aus dem Fenster in seine Richtung, aber er konnte ihn hinter den dichten Bäumen sicher nicht sehen. Er hörte Schritte. Ein Junge ging vorbei. Er zog einen Schlitten hinter sich her und sang leise vor sich hin.
    Einige Male war Vesa mit Tommy Schlitten gefahren. Nicht oft. Es hatte ihn immer so viel Überwindung gekostet, etwas zu unternehmen, Tommy war manchmal böse gewesen und hatte gesagt, dass Vesa träge sei, und irgendwann hatte Tommy keine Zeit mehr gehabt für solche Sachen.
    Er musste mit dem Polizisten sprechen, er musste ihm alles erklären, erst wenn alles geklärt war, konnte er Tommy wieder in die Augen sehen.
    Das Schlimmste war der Gedanke, dass der Polizist ihn vielleicht nicht verstehen würde. Dass er sich in ihm getäuscht hatte.
    Diesen Gedanken durfte er nicht denken.
    Er wartete hinter den Bäumen, bis der Mond vor seinen Augen so groß war, dass er seinem Anblick nicht mehr standhalten konnte. Dann löste er sich und ging auf das Haus zu, das wieder im Dunkel lag, der Polizist hatte das Licht gelöscht.
    Während er ging, während das Haus vor ihm größer, realer wurde, wuchs seine Angst vor dem ersten Satz, den er sagen musste, bevor das Gespräch begann. Der erste Satz war ihm immer schwergefallen, viele Gespräche waren an diesem ersten Satz gescheitert, manchmal war ihm dieser Satz später eingefallen, als die Gelegenheit längst verstrichen war, Jahre später, als niemand mehr hören wollte, was er sagte.
    Er musste über diesen Satz nachdenken, er war wichtig, er war die Grundlage von allem.
    Er stand an der Tür, er berührte sie mit seinen Händen.
    Dann drehte er sich um, lehnte sich dagegen und ließ sich hinabsinken.
    Er musste darüber nachdenken, wie er dem Polizisten alles in einem Satz erklären konnte.
    Er konnte sich nicht erinnern, dass es jemals so kalt gewesen war. Es war angenehm, diese Kälte zu spüren, sie vergegenwärtigte ihm, dass er lebte, sie vergegenwärtigte ihm, dass er sterben würde, sie schuf unmittelbar Klarheit, und sie war so intensiv, dass sogar der Mond hinter seinen Augen einfror.
    Vielleicht würde er dem Polizisten zuerst davon erzählen, von der Angst.
    Er würde ihm erklären müssen, dass diese Angst anders war als die der anderen. Der Polizist würde das verstehen, er war ganz sicher, dass er in seinen Augen eine Angst gesehen hatte, die seiner ähnelte.
    Er würde ihm von Jaana erzählen und von dem entscheidenden Moment, in dem sie ihn verschlungen hatte.
    Das Wichtigste war, dass Jaana zurückkehrte.
    Er schloss die Augen und stellte sich vor, dass sich alles in einer einzigen Sekunde in nichts auflöste, wenn er in der Lage war, den richtigen Satz zu sagen.
    Er stellte sich das Nichts vor, dem er sich so nahe gefühlt hatte, aber er hatte sich getäuscht.
    Es war so kalt, dass er sich kaum noch bewegen konnte.
    Nur noch ein wenig kälter, dann würde der Mond vor seinen Augen zerplatzen. Er wusste nicht, was dann sein würde, was dahinter war, aber es musste besser sein als alles, was bisher gewesen war.
    Er spürte, dass er weiter hinabsank, und er dachte an den ersten Satz, den er sagen würde, wenn der Polizist die Tür öffnete.
    Was, wenn er einschlief und dieses Mal nicht aufwachte?
    Vielleicht würde er damit beginnen.
    Mit seiner Angst vor dem Schlaf.
    Mit seiner Angst vor dem Tod.
    Mit seiner Angst vor sich selbst.

21
    Sein Leben war dunkel, anstrengend und zum Kotzen.
    Seine Mutter ging ihm auf die Nerven.
    »Beeil dich!«, rief sie hinter ihm her.
    Als sei es seine Schuld, dass ausgerechnet er im Wald leben musste, abgeschnitten von der Außenwelt, ausgerechnet er hatte den weitesten Weg zur Bushaltestelle. Jeden Morgen war er erschöpft, wenn er ankam, so erschöpft, dass er dachte, der Tag sei am besten gleich wieder zu Ende.
    Sicher war der Bus schon weg, er war heute besonders spät, und er hatte nicht die geringste Lust, sich zu beeilen.
    Gestern war es lustig gewesen, das Rodeln, die Schneeballschlacht, immerhin etwas.
    Er näherte sich dem Haus des Polizisten, Joentaa. Er hatte in letzter Zeit immer ein komisches Gefühl, wenn er dort vorbeiging. Seine Mutter hatte ihm erzählt, dass die Frau gestorben war. Das hatte ihn lange beschäftigt, natürlich hatte er sich nichts

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