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Eismond: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)

Eismond: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)

Titel: Eismond: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
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anmerken lassen, aber es hatte ihn beschäftigt, es hatte ihm wehgetan, und es hatte ihn beunruhigt.
    Diese Frau, Sanna Joentaa, war so schön gewesen, er hatte nie lange mit ihr gesprochen, aber er hatte immer hinübergesehen, wenn sie im See gebadet hatte. Manchmal hatte er gedacht, dass dieser Polizist großes Glück hatte und dass er später auch eine solche Frau haben wollte, genau dieselbe.
    Er hätte nie gedacht, dass eine solche Frau sterben konnte.
    Der Polizist tat ihm leid, aber er hatte in letzter Zeit auch ein ungutes Gefühl, wenn er ihm begegnete, der Mann war so … still und traurig, er schien gar nicht richtig bei sich zu sein. Einmal hatte er ihn gegrüßt, aber Joentaa hatte ihn gar nicht gehört, er war mit gesenktem Kopf an ihm vorbeigelaufen.
    Als er auf Höhe des Hauses war, beschleunigte er seine Schritte, er war spät dran; wenn er sich nicht beeilte, war der Bus weg. Er wollte an dem Haus vorbeigehen, ohne hinzusehen, seine Mutter hatte ihm vor einiger Zeit ohnehin sehr nachdrücklich gesagt, dass man Herrn Joentaa jetzt in Ruhe lassen müsse, und das Haus erinnerte ihn immer an die schöne Frau, und dann dachte er an das Grab, in dem sie liegen musste, und daran, dass irgendwann ihr Körper zerfiel, aber er sah doch hinüber zu dem Haus, er musste einfach.
    Da saß jemand.
    An der Tür saß jemand und schlief.
    Er wollte weitergehen, er wollte nichts damit zu tun haben.
    Seine Mutter hatte gesagt, dass man Herrn Joentaa in Ruhe lassen sollte.
    Er senkte den Blick und zwang sich weiterzugehen, er war schon an dem Haus vorbei.
    Aber wie konnte jemand in dieser Eiseskälte schlafen?
    Er machte kehrt und rannte auf das Haus zu. Er näherte sich dem schlafenden Mann und hoffte, dass er gleich aufwachen würde. Als er noch wenige Meter von ihm entfernt war, sprach er ihn an, aber der Mann reagierte nicht. Er stand über dem Mann und sagte: »Wachen Sie auf!«, aber der Mann schlief weiter.
    Er blieb eine Weile unschlüssig stehen, dann klingelte er an der Tür, und während er wartete, dachte er, dass er den Bus verpassen würde, er schämte sich für den Gedanken, aber er dachte, dass er etwas zu erzählen haben würde, morgen, wenn die anderen fragten, warum er nicht zur Schule gekommen sei.

22
    Ein schriller Ton, der immer wiederkehrte.
    Zwischen Traum und Wirklichkeit begriff Kimmo Joentaa, dass dieser schrille Ton sehr wichtig war, dieser schrille Ton gehörte nicht hierher, er war das Neue, er barg eine Lösung.
    Er streifte den Traum ab und zwang sich aufzustehen.
    Jemand klingelte.
    Während er auf die Tür zuging, versuchte er, sich an den Traum zu erinnern, aber da war nichts mehr. Er sah nach der Uhr auf dem Videorecorder. Halb sieben.
    Er war erst gegen sechs Uhr eingeschlafen.
    Er wollte die Tür öffnen, aber es ging nicht. Er schob sie einen Spalt breit auf, soweit es ging.
    »Da liegt jemand«, sagte eine Stimme.
    Er sah durch den Spalt. »Roope?«
    »Da liegt jemand an der Tür«, sagte Roope.
    Roope war bleich, weiß wie der Schnee hinter ihm.
    Joentaa stemmte sich gegen die Tür. Er begriff, was er sehen würde, bevor er Gelegenheit hatte, den Gedanken zu Ende zu denken. Er wusste, wer an seiner Tür lag. Er zwängte sich durch den schmalen Spalt.
    »Was ist mit dem Mann?«, fragte Roope.
    Joentaa schwieg. Er sah auf Vesa Lehmus hinab, er wusste, dass er einen Krankenwagen rufen musste, er wusste, dass es zu spät war.
    Er sah Daniel, der schlaftrunken durch den Türspalt spähte. »Was ist?«, fragte Daniel.
    Joentaa sah ihm in die Augen und spürte, wie sich etwas löste, etwas glitt aus seinen Händen, etwas, das er sehr festgehalten hatte. Der Weinkrampf überraschte ihn. Er verlor innerhalb von Sekunden die Kontrolle, er schrie, er sah Roope, der zusammenzuckte und ihn mit offenem Mund anstarrte, er sah Daniel, der sich, plötzlich hellwach, mit verzerrtem Gesicht durch die Tür zwängte, er spürte, dass seine Beine nachgaben, er hatte das Gefühl, von einer riesigen Welle geschluckt zu werden, die alles enthielt, was sich angestaut hatte.
    Er hörte Daniel, der ihn anschrie: »Wer ist das?!«
    Er wollte antworten, aber es ging nicht. Er dachte, dass es verrückt war. Er hatte nicht geweint, als Sanna gestorben war. Er hatte nicht geweint, als Laura Ojaranta, Johann Berg, Jaana Ilander gestorben waren.
    Er weinte um Vesa Lehmus, den Mörder.
    »Er konnte wunderbar Klavier spielen«, sagte er.
    Daniel sah ihn entgeistert an, und er begriff selbst nicht, was er

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