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Eismond: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)

Eismond: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)

Titel: Eismond: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
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widerstand. Er tastete sich an der Wand entlang zum Klavier, entfernte das rote Tuch und strich vorsichtig über die Tasten. Er hatte den Eindruck, es sei Jahre her, seit er hier gesessen und mit Frau Ojaranta gesprochen hatte.
    Seine Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit. Er ging langsam durch den Korridor und die Treppe hinunter in den Weinkeller, der abgeschlossen war, der Schlüssel steckte. Er spürte einen wohltuenden Schmerz im Magen bei dem Gedanken, dass Frau Ojaranta sich vor Einbrechern hatte schützen wollen, die versuchten, durch das Fenster des Weinkellers in die Wohnung zu gelangen.
    Er nahm eine Flasche aus einem der Fächer und ging wieder nach oben. An der Tür zum Schlafzimmer blieb er kurz stehen. Sie war angelehnt. Er trat dicht heran und glaubte, ganz leise ihren regelmäßigen Atem zu hören.
    In der Küche öffnete er die Flasche und nahm ein Glas aus einem der Schränke. Er setzte sich auf das Sofa im Wohnzimmer und konzentrierte sich auf den filzigen, bitteren Geschmack des Weins. Er versuchte, so regelmäßig zu atmen wie Frau Ojaranta.
    Es war schön zu wissen, dass alles ihm gehörte, alles, was er wollte.
    Es war schön, Teil der Dunkelheit zu sein.
    Er wartete, bis er nichts mehr dachte.
    Dann stand er auf und ging mit weiten Schritten zum Schlafzimmer. Vor der angelehnten Tür blieb er stehen und atmete durch. Er spürte, dass es schnell gehen musste, so schnell, dass er nicht begriff, was passierte. Wenn es schnell ging, würde es einfach sein.
    Er schob behutsam die Tür nach vorn und betrat den Raum. Als er an ihrem Bett stand, sah er auf sie hinab. Sie lag ein wenig verdreht, die Arme um das Kissen geschlungen, und atmete in kurzen Stößen. Er fragte sich, was sie träumte, versuchte, die Macht zu inhalieren, aber es ging nicht, weil die Angst zurückkam und ihn umklammerte.
    Er durfte keine Angst haben, alles war sinnlos, wenn er Angst hatte.
    Um die Aufgabe zu bewältigen, musste er schnell und sicher sein, so selbstverständlich wie der Windhauch, der eine Kerzenflamme löscht.
    Er beugte sich über sie und nahm das Kissen, das neben ihr lag. Er spürte ihren leichten Atem an seinem Hals und krallte seine Finger in das Kissen. Er dachte daran wegzurennen, alles zu vergessen, unerkannt ins Dunkel zu tauchen, aber das war unmöglich.
    Er schloss die Augen und presste das Kissen fest auf ihr Gesicht. Er war erleichtert, kaum Widerstand zu spüren, nur eine leichte Straffung ihres Körpers, unterdrückte Schreie, die nichts bedeuteten. Als er sicher war, dass es vorbei war, ließ er los. Er zitterte.
    Er vermied es, sie noch einmal anzusehen.
    Im Wohnzimmer schaltete er das goldene Licht an. Er zog die Handschuhe aus, setzte sich ans Klavier und spielte die Melodie, die er besonders mochte, eine einfache Melodie, die Klarheit brachte.
    Er schwebte auf den weichen Tönen über das Niemandsland.
    Nach einer Weile stand er auf. Er verwischte die Abdrücke seiner Finger und löschte das Licht. Im Flur nahm er das Bild mit der verschwommenen Landschaft von der Wand.
    Dann trat er ins Freie. Es war sehr kalt. Er stand am Fuß der Anhöhe, die er bergan laufen musste, um nichts mehr und alles zu sein. Er stöhnte leise bei dem Gedanken, dass hinter der Anhöhe der Tod endete und sein Leben begann.
    Er lief, erst langsam, dann schneller. Er näherte sich dem Scheitelpunkt und schrie seine Euphorie heraus.
    Dann stand er im Nichts.
    Als er die Farbe sah, die niemand kannte, begann er zu weinen. Er war für immer in Sicherheit.

6
    Kimmo Joentaa betrat um halb acht das große Polizeigebäude in der Innenstadt von Turku. Er fuhr mit dem Aufzug in den dritten Stock. Zwei uniformierte Kollegen vom Nachtdienst räumten gerade das Feld, als er sein Büro betrat, und grüßten ihn beiläufig. Sie waren offensichtlich zu müde, um zu begreifen, dass er gar nicht hätte da sein sollen. Joentaa nickte ihnen zu und begann, in Akten zu blättern, die sorgfältig gestapelt auf Ketolas Schreibtisch lagen.
    Er wusste, dass er müde war, dass er müde sein musste, aber er hatte die ganze Nacht nicht schlafen können. Er hatte auf dem Sofa im Wohnzimmer gelegen und in die Dunkelheit gestarrt. Am frühen Morgen war er kurz in einen diffusen Halbschlaf hinabgesunken. Als er aufgewacht war, hatte er sich zur Seite gedreht und nach Sannas Arm gegriffen.
    Es hatte einige Sekunden gedauert, bis er begriffen hatte, dass sie nicht da war.
    Er hatte sich angezogen und war nach Turku gefahren, ohne weiter darüber

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