Eismond: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)
fühle«, sagte er nach einer Weile. »Und ich möchte ab sofort wieder arbeiten.« Er war selbst überrascht über die Direktheit seiner Worte und glaubte, auch in Ketolas Augen ein kurzes Blitzen wahrzunehmen. Dann straffte sich sein kantiges Gesicht wieder, er nickte kurz: »Wie Sie meinen. Es ist ja nicht so, dass wir keine Arbeit für Sie hätten.« Ketola stand auf, verließ mit schnellen Schritten den Raum und ließ Joentaa mit der Frage allein, wie sein Verhalten zu deuten sei. Sein Vorgesetzter war ihm immer ein Rätsel gewesen, seit seinem ersten Arbeitstag, an dem ihn der Leiter der Mordkommission kaum wahrgenommen hatte. Erst am Nachmittag, nach der Auswertung eines Tatortes, war ihm eingefallen, den neuen Mitarbeiter beiläufig mit einem vagen »Willkommen« zu begrüßen.
Auch jetzt wusste Joentaa nicht, was er von Ketola halten sollte. Sollte er seine dürren, kalten Worte und das Angebot, seinen Urlaub fortzusetzen, als unbeholfene Geste des Verständnisses und des Mitgefühls deuten oder als Desinteresse und Geringschätzung seiner Mitarbeit?
Joentaa dachte noch darüber nach, als Ketola mit zwei Aktenordnern zurückkehrte. »Sie haben sicherlich von dem Vorfall auf dem Marktplatz gehört«, sagte er im Gehen. Er wartete nicht auf eine Antwort. »Wir kriegen Druck von allen Seiten, nur weil irgendein Schwachkopf ausgesagt hat, der Attentäter sei in einen Bus gestiegen und einfach so weggefahren.« Ketola schlug gegen die Tischplatte. »Das ist natürlich Unsinn, aber wen interessiert das?!« So schwierig es Joentaa ansonsten fiel, Ketola zu durchschauen, er wusste, dass jetzt eine Unmutsäußerung allgemeiner Art kommen würde.
»Es ist zum Kotzen«, sagte Ketola mehr zu sich selbst als zu Joentaa und wandte sich den Akten zu.
Um neun Uhr kam Heinonen mit der Nachricht, dass in Naantali eine Frau ermordet worden sei.
»Offensichtlich hat der Ehemann zunächst einen Notarzt gerufen, aber der vermutete nach erster Ansicht, die Frau sei erstickt worden«, sagte er. »Dann hat der Ehemann bei uns angerufen. Grönholm hat den Anruf entgegengenommen. Angeblich war der Mann ziemlich verwirrt und aufgeregt.«
»Verständlich«, meinte Ketola trocken und missmutig und zog schon sein Jackett über. Joentaa fixierte Ketolas Gesicht und glaubte, Angst in seinen Augen zu sehen. Angst, überfordert zu werden, vermutete er.
»Kommen Sie, Kimmo«, rief Ketola und war schon auf dem Korridor.
»Ist dein Urlaub vorbei?«, fragte Heinonen, als Joentaa sich an ihm vorbeischlängelte. Er gab keine Antwort und rannte, bis er Ketola eingeholt hatte.
7
Das Erste, was Joentaa auffiel, war, dass es ein sehr schönes, ganz in dunklem Blau gestrichenes Holzhaus war, in einer exklusiven Wohngegend, die er nicht kannte. Vor dem Haus standen ein Streifenwagen, ein Krankenwagen und ein Dutzend Neugieriger, die die Hälse reckten in der Hoffnung, durch die geöffnete Haustür etwas zu sehen.
Was denn passiert sei, fragte eine junge Frau, als sie aus dem Wagen stiegen.
»Gar nichts«, sagte Ketola unwirsch. Die Frau wollte neu ansetzen, war aber zu verdutzt, um schnell genug reagieren zu können.
Ein uniformierter Polizist fing sie im Flur ab und erläuterte kurz, was passiert war. »Laura Ojaranta, geborene Toivonen, 33 Jahre alt. Ihr Mann ist heute Morgen von einer Reise zurückgekehrt und fand seine Frau tot im Schlafzimmer. Der Mann ist ziemlich fertig, glaube ich.«
»Wo ist er?«, fragte Ketola. Der Polizist deutete nach links. Joentaa sah einen gepflegt gekleideten Mann mittleren Alters an einem Tisch im Wohnzimmer sitzen. Der Mann starrte apathisch geradeaus und schüttelte unablässig leicht den Kopf. Als Joentaa seinen Blick abwandte und wieder in das Gesicht des Polizisten sah, dachte er an Sanna und daran, dass sie gestorben war. Ketola sagte etwas, aber er hörte nichts.
»Ich rede mit Ihnen, Kimmo …«, rief Ketola.
Joentaa erwachte.
Ketola sah ihn durchdringend an und ging voran ins Schlafzimmer, das im grellen Sonnenlicht lag.
Es wird noch heißer werden als gestern, dachte Joentaa.
Laukkanen von der Gerichtsmedizin kam ihnen entgegen. »Sie ist sehr wahrscheinlich mit einem Kissen erstickt worden, vermutlich vergangene Nacht.« Kari Niemi von der Spurensicherung kroch auf dem Boden herum. Er sprang auf, als er sie entdeckte, und kam schwungvoll und breit lächelnd auf sie zu.
Gut gelaunt wie immer, dachte Joentaa. Er mochte Niemi, und er glaubte, im Laufe der Zeit beobachtet zu haben, dass das
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