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Eismond: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)

Eismond: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)

Titel: Eismond: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
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zurück und mit ihr das Bewusstsein, dass es nicht zu Ende war.
    Dass es erst begonnen hatte.
    Er inhalierte die Angst.
    Er wurde langsam in die Welt hinabgezogen, die nur er kannte, und er wehrte sich nicht.
    Er ließ sich treiben und sah sich lachen. Er genoss es, wieder der andere zu sein, den er hasste.
    Er stellte sich vor, die Angst sei der Anfang der Erlösung.
    Er erzählte einer Gruppe junger Touristen aus Schweden, dass im Jahr 1827 fast ganz Turku in Flammen aufgegangen sei.
    Während er sprach, suchte er die Augen seiner Zuhörer.
    Er erzählte, dass nur die kleine Häusersiedlung auf dem Klosterberg verschont geblieben sei. Ein kleiner Junge fragte, warum, und er antwortete, das wisse niemand so genau. Vermutlich habe sie am Abhang des Vardberges im Windschutz gelegen.
    Er freute sich über das Interesse der Touristen und führte sie durch die verschiedenen Handwerksstuben. Er erzählte, dass das Museum auf dem Klosterberg im Sommer 1940 eröffnet worden sei. Er demonstrierte an den alten Geräten, wie ein Uhrmacher in vergangenen Zeiten Uhren hergestellt und wie ein Sattler Leder bearbeitet hatte.
    Er genoss die staunenden Blicke der Zuschauer und fertigte für den kleinen Jungen in wenigen Minuten einen Würfelbecher aus braunem Leder. Der Junge freute sich und zeigte den Becher einem jungen Mann, seinem Vater.
    Der Mann lächelte, kam auf ihn zu und dankte ihm für das Geschenk.
    Er erwiderte das Lächeln und überschritt die Grenze zwischen den Welten.
    Er führte die Gruppe geduldig durch die kleinen Häuser. Er lachte mit, wenn sich Großgewachsene an den Türrahmen stießen.
    Er hörte, dass sich einige über das schlechte Essen in der Jugendherberge belustigten.
    Er suchte den Blick des kleinen Jungen, der auf den Schultern seines Vaters saß und ihn nicht mehr beachtete.
    Der Würfelbecher hing vergessen in seiner Hand.
    Als sie ins Freie traten, schien die Sonne weinrot.

12
    Während Jonna Koivuniemi Kaffee kochte, dachte Joentaa darüber nach, ob er überhaupt berechtigt sei, über die Tiefe ihrer Trauer zu urteilen.
    Sie hatte ihn in ein behaglich eingerichtetes kleines Wohnzimmer geführt.
    Sie hatte gesagt, dass sie in der Nacht nicht geschlafen habe. Es störte Joentaa, dass sie das gesagt hatte. Die Tatsache, dass sie es gesagt hatte, ließ ihn daran zweifeln, dass es wirklich so gewesen war.
    Sie kam mit dem Kaffee und fragte ihn lächelnd, ob er Milch und Zucker wolle. Er verneinte und ermahnte sich, kein Bild von einer Frau zu entwerfen, die er überhaupt nicht kannte.
    Sie war überrascht, als er auf das Gemälde zu sprechen kam, und hatte keine Erklärung für sein Verschwinden. »Ich glaube, Laura hat es gemocht«, sagte sie. »Und Arto fand es grauenvoll.« Sie lachte kurz auf und verstummte, als sie bemerkte, wie unpassend ihr Lachen war.
    »Ich bin übrigens keine richtige Malerin, es ist nur ein Hobby«, erklärte sie. »Laura und ich haben uns beim Malen kennengelernt, in der Volkshochschule.«
    »Was ist auf dem Bild zu sehen?«, fragte Joentaa.
    »Eine Landschaft bei Nacht. Ein See und ein Berg.«
    »Wie ist es gemalt, ich meine …« Er hielt inne. »Ich verstehe nicht viel davon. Ist es … naturgetreu gemalt oder eher abstrakt?«
    »Abstrakt«, sagte sie. »Ich male immer abstrakt. Am besten zeige ich Ihnen ein anderes meiner Bilder. Kommen Sie.«
    Das Bild, das sie ihm zeigen wollte, hing im Keller. Frau Koivuniemi schaltete das Licht an. Joentaa hatte das beklemmende Gefühl, draußen sei die Sonne untergegangen.
    »Ich hänge meine eigenen Bilder eigentlich ungern auf«, sagte sie. »Aber das gefiel meinem Mann so gut, dass wir mal eine Ausnahme gemacht haben. Hier unten neben der Sauna sieht es ja sonst keiner.« Sie lächelte.
    Joentaa nickte.
    Das Bild überraschte ihn.
    Er wunderte sich darüber, dass die unscheinbare kleine Frau, die neben ihm stand, es gemalt hatte, und er wusste gleichzeitig, wie unsinnig seine Verwunderung war.
    Das Bild zeigte eine blasse grüne Wiese und grauen Himmel.
    Er verstand nichts von Malerei, aber dieses Bild gefiel ihm.
    »Es ist sehr schön«, sagte er.
    »Danke«, sagte sie. »Ich glaube, es gibt nicht viele, die derselben Meinung sind. Der Dozent in der Volkshochschule meinte, meine Bilder seien … blutleer.«
    »Malen Sie immer so … in diesen blassen Farben?«
    Sie nickte. »Ich glaube, darauf hat mein Lehrer damals angespielt.«
    »Es gefällt mir sehr gut«, sagte Joentaa noch einmal.
    Als sie nach oben gingen, fragte er

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