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Eismond: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)

Eismond: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)

Titel: Eismond: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
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erleichtert, unendlich erleichtert, dass sie lebte.

10
    Joentaa erwachte früh am Morgen. Das Erste, was er dachte, war, dass Sanna tot war und dass er geträumt hatte.
    Er stand auf, weil er wusste, dass er nicht mehr würde schlafen können. Er zwang sich, etwas zu essen und zu trinken, obwohl er keinen Hunger und keinen Durst hatte. Er saß lange im Wohnzimmer auf seinem provisorischen Sofabett und sah durch die breiten Fenster auf die ruhige, blassblaue Wasserfläche des Sees.
    Er erinnerte sich an den Nachmittag, an dem sie das Haus besichtigt hatten, im Winter vor zwei Jahren. Er hatte Schwierigkeiten gehabt, den Wagen unfallfrei durch den dichten Schnee zu lenken, und es hatte ihn geärgert, dass das kleine Haus nur über einen schmalen Waldweg zu erreichen war. Er war mit dem festen Vorsatz ausgestiegen, lieber in der beengten Turkuer Wohnung zu bleiben, als in diese abgelegene Gegend zu ziehen.
    Der Makler hatte schon auf dem Grundstück gewartet. Er hatte gebückt in der Kälte gestanden, sie mit einem Wortschwall empfangen und sich ständig bemüht, Sanna Komplimente zu machen.
    Das Haus war leer gewesen, die Vormieter hatten die Möbel mitgenommen. Das Erste, was Kimmo Joentaa gedacht hatte, war, dass er die Wände würde streichen müssen.
    Er erinnerte sich, dass Sanna am Fenster im Wohnzimmer gestanden und lange den zugefrorenen See betrachtet hatte. Nach einer Weile hatte sie sich abgewendet und ihn breit angegrinst. Er hatte sofort gewusst, dass ihre Entscheidung gefallen war. Er hatte die unausgesprochene Frage in ihren Augen gelesen und lächelnd genickt. Sanna hatte den Makler in seinem Redeschwall unterbrochen und ihm mitgeteilt, dass er seine Mieter gefunden habe. Der Mann war verblüfft und begeistert gewesen und hatte Sanna für ihre kluge Entscheidung mit einem Handkuss belohnt.
    Joentaa konnte sich an alles detailliert erinnern und hatte dennoch das Gefühl, dieser Tag habe nie stattgefunden. Er dachte darüber nach, warum das so war, und kam zu einer Erkenntnis, die ihn erschreckte.
    Die Vergangenheit erschien unwirklich, weil in ihr Sanna noch am Leben war.
    Er zwang sich aufzustehen und fuhr nach Turku. In der Innenstadt stand er lange im Stau. Der Radiosprecher versuchte ununterbrochen, witzig zu sein.
    Als er das Büro betrat, sah er Ketola an seinem Schreibtisch sitzen. Er führte ein Glas zum Mund und schluckte ruckartig den Inhalt hinunter. Vor ihm stand eine Flasche, in der rötlich braune Flüssigkeit schwamm.
    Joentaa blieb verdutzt im Türrahmen stehen. Er hatte nicht die Zeit zu begreifen, was er gesehen hatte.
    »Hauen Sie ab«, sagte Ketola, der Flasche und Glas mit schnellen und sicheren Bewegungen in einer Schublade unter seinem Schreibtisch verschwinden ließ, als er Joentaa bemerkte.
    Joentaa blieb wie angewurzelt stehen.
    »Hauen Sie ab«, wiederholte Ketola, leiser und schärfer. Joentaa glaubte in seinen Gesichtszügen eine ungeheure, gegen ihn gerichtete Wut zu sehen. Er löste sich aus seiner Erstarrung, schloss hastig die Tür und stand auf dem Korridor.
    Er atmete durch und überlegte, was er als Nächstes tun sollte. Während er darüber nachdachte, schoss ihm durch den Kopf, wie absurd es war, dass er sein Büro nicht betreten konnte, weil sein Vorgesetzter ungestört harten Alkohol trinken wollte.
    Als er sich unentschlossen abwandte, sah er Nurmela, der zielstrebig auf ihn zukam. »Hallo Kimmo«, rief er schon von Weitem. Joentaa brauchte einen Moment, um zu begreifen. Er zögerte kurz, dann öffnete er die Tür zum Büro. Ketola starrte ihn verblüfft an. Flasche und Glas standen wieder vor ihm auf dem Schreibtisch.
    »Nurmela kommt«, sagte Joentaa und schloss die Tür.
    Er wandte sich dem Polizeichef zu, der noch knapp zehn Meter entfernt war. »Ich wollte zu Ketola«, sagte er und gab Joentaa schwungvoll die Hand. »Ist er da?«
    Joentaa nickte und überlegte, ob er Nurmela in ein Gespräch verwickeln musste. Bevor er weiter darüber nachdenken konnte, hatte Nurmela bereits angeklopft und die Tür geöffnet, ohne auf einen Einlassruf zu warten. Joentaa blickte über seine Schulter und sah Ketola an seinem Schreibtisch sitzen. Er schien intensiv in das Studium einer Akte vertieft zu sein. Flasche und Glas waren verschwunden.
    »Was Neues?«, fragte Nurmela.
    »Nein«, sagte Ketola. »Ich werde am Spätvormittag noch mal mit Järvi reden.«
    »Und was soll das bringen?«, polterte Nurmela unter Verzicht auf die eloquente Freundlichkeit, die ihn bei

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