Eismond: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)
Gespräche mit der Frau geführt, aus denen hervorging, dass sie letztlich einen Gedanken ihrer Mutter in die Tat umgesetzt hatte.
Zu seiner Überraschung hatte Ketola ihn gebeten, die Verhöre zu führen. Ketola selbst hatte meistens im Hintergrund gestanden und geschwiegen. Seitdem er am Tag von Mari Räsänens Festnahme die Kontrolle über sich verloren hatte, hatte er viel geschwiegen.
Er hatte nur kurz genickt, als Joentaa sich nach der Beerdigung für sein Kommen bedankt hatte.
Irgendwann während der Verhöre hatte Mari Räsänen erzählt, dass sich Sami Järvi für die Todesstrafe ausgesprochen habe und dass das nicht sein dürfe. Joentaa war verblüfft gewesen und hatte es nachgeprüft. Es stimmte tatsächlich. Sami Järvi hatte in einem Nebensatz während eines Fernsehinterviews drei Wochen vor dem Attentat die Anwendung der Todesstrafe in Amerika als »notwendig« bezeichnet.
Joentaa hatte das Ketola erzählt, und Ketola hatte mürrisch gelacht bei dem Gedanken, dass Mari Räsänen einen Politiker töten wollte, weil der das Töten rechtfertigte …
Irgendwann schlief Joentaa ein. Als er erwachte, war ihm kalt. Er sah den See, der in diffusem blauem Licht lag. Es war Viertel vor sechs. Ein dunkler Morgen. Er wusste nicht, wie lange er geschlafen hatte, weil er nicht wusste, wann er eingeschlafen war.
Er wusch sich und zog sich an. Er aß ein Brot, trank ein Glas Milch und fuhr ins Büro. Ketola hatte sich vermutlich daran gewöhnt, dass er häufig vor ihm da war.
Er hatte noch einen Zettel für Anita geschrieben und fühlte einen stechenden Schmerz im Magen bei dem Gedanken, dass sie am Abend nicht mehr da sein würde. Als er schon im Berufsverkehr in der Innenstadt stand, dachte er, dass er nicht einfach hätte gehen sollen.
Er begriff nicht, warum er sie nicht geweckt hatte.
Er nahm sich vor, sie anzurufen, gleich wenn er im Büro war.
Der große Parkplatz vor dem braunen Backsteingebäude war nahezu unbesetzt. Er blieb eine Weile im Wagen sitzen.
Er dachte, dass es der kälteste Winter seines Lebens werden würde.
Der Pförtner am Empfang nickte gelangweilt, als er an ihm vorbeiging. Die Gänge waren leer. Er fühlte, dass es ihm schwerfallen würde, zu arbeiten, sich auf tote Menschen zu konzentrieren und auf die Frage, wer sie getötet hatte.
Für einen Moment dachte er, dass das Leben an sich sinnlos sei. Der Gedanke kam häufiger. Er kam schnell und verschwand schnell. Aber er kam immer wieder. Der Gedanke, dass das Leben keinen Sinn hatte, wenn ein Mensch starb, den er sehr gemocht hatte. Ein Mensch, der nichts getan hatte, was seinem Tod einen Sinn gab.
Wenn der Tod keinen Sinn hatte, hatte auch das Leben keinen Sinn.
Er erinnerte sich an ein Gespräch, das er mit Markku Vatanen geführt hatte, als sie gerade ihr Abitur gemacht hatten. Sie hatten in einer verrauchten Disko gesessen, Bier getrunken und sich Sätze zugerufen, in der Hoffnung, die höllisch laute Musik zu übertönen.
Irgendwann hatte sich Markku zu ihm gebeugt und geschrien, dass das Leben tragisch sei, weil es sich immer auf den Tod zubewege.
Er sah Markku vor sich. Er sah, wie er ein Bier nach dem anderen trank, immer lauter und schneller redete und plötzlich diesen Satz sagte.
Joentaa hörte wieder die grelle Musik und sah seinen Schulfreund, der ihn mit funkelnden Augen anstarrte.
Er sah sich lachen.
Er hatte hinter seinem Lachen verborgen, dass er den Satz, den sein Freund in betrunkenem Zustand in sein Ohr gebrüllt hatte, als unbegreiflich einfache und schreckliche Wahrheit empfand.
Er hatte Markku nie gesagt, wie tief ihn dieser Satz berührt hatte.
Er dachte, dass es schön wäre, wieder mit Markku in der Disko zu sitzen.
Er dachte, wie merkwürdig es war, dass er Sanna an diesem Abend noch nicht gekannt hatte, dass er nicht im Traum daran gedacht hatte, sie jemals kennenzulernen.
Er nahm sich vor, Markku anzurufen und ihm dafür zu danken, dass er zur Beerdigung gekommen war.
3
Um kurz vor acht rief Ojaranta an und sagte etwas, das Joentaa verblüffte.
Joentaa hielt ein Foto von Laura Ojaranta in den Händen, als das Telefon klingelte, und sah in das leere Gesicht der toten Frau, während Arto Ojaranta ihm erklärte, dass ein Schlüssel zu seinem Haus verschwunden sei.
»Er hing immer am Schlüsselbrett, seit Jahren, als Ersatz, falls man mal den anderen verlegt«, sagte er. »Und jetzt ist er weg.«
»Sind Sie sicher?«, fragte Joentaa.
»Natürlich bin ich sicher.«
»Hat Ihre Frau den
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