Eismond: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)
und wandte sich ab.
»Meine Schwester ist verreist«, sagte Ojaranta. »Anna ist immer hier, wenn sie verreist ist.«
Joentaa nickte und fragte sich, warum Ojaranta es für notwendig erachtet hatte, ihm die Anwesenheit des Mädchens zu erläutern.
»Sie könnten sich bei Ihren Nachbarn erkundigen, ob Ihre Frau möglicherweise den Schlüssel bei einem von ihnen hinterlassen hat«, sagte Joentaa.
Ojaranta verzog genervt das Gesicht.
»Sie könnten uns damit helfen«, sagte Joentaa.
»Ich kann es versuchen. Obwohl ich sicher bin, dass wir den Schlüssel so nicht finden werden.«
»Ich verstehe Sie nicht«, sagte Joentaa.
Ojaranta sah ihn überrascht an.
»Sie wollen doch wissen, wer Ihre Frau getötet hat.«
Ojaranta schwieg einige Sekunden. »Natürlich will ich das.«
»Warum fällt es Ihnen dann so schwer, uns zu helfen?«
Ojaranta sah ihm in die Augen. Er schien seine Antwort in Gedanken auszuformulieren, bevor er sie aussprach. »Weil ich nicht glaube, dass es irgendeinen Sinn hat. Weil ich nicht glaube, dass Sie irgendetwas erreichen. Und weil ich nicht glaube, dass ich jemals begreifen werde, warum meine Frau getötet wurde.«
Joentaa wich seinem stechenden Blick aus. Er wusste nicht, was er entgegnen sollte, und ärgerte sich gleichzeitig, dass sich sein Schweigen in die Länge zog.
Das Mädchen hatte aufgehört zu spielen und sah verstohlen zu ihnen hinüber.
»Wir tun unser Bestes«, sagte Joentaa und spürte die Leere in seinen Worten.
Er stand auf. An der Tür gab er Ojaranta die Hand und zwang sich, ihm in die Augen zu sehen. »Ich werde alles tun, um den Mord an Ihrer Frau aufzuklären«, sagte er. »Es ist sehr wichtig für mich.«
Ojaranta starrte ihn an. Joentaa spürte wieder den Impuls, ihm von Sanna zu erzählen. Er wusste, dass er es tun würde, wenn Ojaranta ihm jetzt durch eine Nachfrage einen Anstoß gab.
Aber Ojaranta schwieg und löste seine Hand aus seiner.
Als Joentaa auf die Landstraße Richtung Turku einbog, hatte er das blaue Haus vergessen und dachte nur noch an Sanna.
5
Vesa Lehmus stand am geöffneten Fenster und atmete die kalte Luft. Der Spielplatz lag im goldenen Licht der untergehenden Sonne.
Ein kleiner Junge baute aus dem feuchten Sand eine Burg. Vesa beobachtete ihn schon eine ganze Weile. Der Junge sah ihn nicht. Er schien alles um sich herum vergessen zu haben.
Seine Mutter saß ihm gegenüber auf einer Bank und blätterte in einer Zeitschrift. Wenn ihr Sohn versuchte, auf sich und seine Burg aufmerksam zu machen, sah sie kurz auf und tat so, als sei sie beeindruckt.
Vesa Lehmus kannte die beiden. Sie wohnten im dritten Stock des Nachbarhauses. Manchmal sah Vesa den Jungen am Fenster stehen. Der Junge winkte ihm dann immer zu, und er winkte zurück.
Vesa begriff nicht, warum die Mutter des Jungen kein Interesse an seiner Burg zeigte. Er hätte sie am liebsten angeschrien. Stattdessen nickte er ihr zu, als ihre müden Augen ihn trafen.
Er dachte an die Frau, die ihn am Strand in Naantali angesprochen hatte.
Jaana.
Er fragte sich, was sie von ihm gewollt hatte. Er dachte eine Weile darüber nach, aber er fand keine Antwort.
Er zuckte zusammen, als der Junge seine Sandburg mit einem heftigen Schlag zerstörte. Der Junge schrie und lachte und hämmerte mit der kleinen hellgrünen Plastikschaufel auf die Türme ein.
Seine Mutter saß auf der Bank und sagte, er solle nicht so schreien. Sie hob noch nicht einmal den Kopf, um zu sehen, was er machte.
Der Junge schrie lauter und schlug wütend auf den formlosen Sand, der die Burg schon geschluckt hatte. Seine Mutter stand auf, ging auf ihn zu und hob ihn ruckartig in ihre Arme. Der Junge weinte.
Vesa sah ihnen nach, bis sie im Innern des Hauses verschwunden waren. Er starrte auf den leeren Spielplatz. Er suchte im Sandkasten nach Spuren der Burg, an der der Junge so geduldig und lange gearbeitet hatte, um sie dann mutwillig zu zerstören. Warum hatte er das getan? Im Sand lagen noch der rote Plastikeimer und die kleine grüne Schaufel.
Vesa Lehmus wartete darauf, dass seine Mutter kommen und die Sachen holen würde, aber sie kam nicht.
Der Platz lag schon im blauen Schatten, als es an seiner Tür klingelte. Er ging schnell, um zu öffnen. Er wusste, dass es Tommy war. Es konnte nur Tommy sein.
Es war Tommy. »Wie geht’s denn?«, sagte Tommy und: »Alles klar bei dir?« Vesa fiel ihm um den Hals, und Tommy lachte. »Nicht so stürmisch!«
»Hast du Hunger?«, fragte Vesa und kramte im Kühlschrank.
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