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Eismond: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)

Eismond: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)

Titel: Eismond: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
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Er freute sich, dass Tommy da war.
    »Nein, lass mal. Setz dich einfach zu mir.«
    Sie saßen auf Vesas Bett. Die meiste Zeit redete Tommy. Er hatte immer viel zu erzählen. Vesa hörte zu und dachte, was er immer dachte, wenn er Tommy sah. Dass Tommy anders war. Ganz anders. Tommy war stark. Tommy war groß und immer braun gebrannt. Tommy lachte laut.
    Tommy hatte tausend Freunde.
    Manchmal mochte er Tommy nicht, aber er liebte ihn. Tommy war der wichtigste Mensch in seinem Leben.
    Er blieb heute lange, länger als sonst.
    Irgendwann stand er auf und ging, genauso selbstverständlich, wie er gekommen war.
    Er kam und ging immer, wann er wollte.
    Sie standen schon an der Tür, als Vesa seine eigene Stimme hörte. »Was würdest du sagen, wenn ich einen mächtigen Freund hätte?«, fragte er.
    Tommy, der gerade seine Jacke über die Schultern geworfen hatte, hielt inne. »Bitte?«, fragte er und grinste, aber leicht verunsichert.
    »Was würdest du sagen, wenn ich einen Freund hätte, der mächtiger ist als alle anderen?«
    »Dann würde ich dich beglückwünschen, weil er dich sicherlich schützen würde vor all den kleinen Gefahren des Alltags.« Tommy grinste, jetzt wirklich amüsiert. »Redest du von jemand bestimmtem?«
    Vesa schüttelte hastig den Kopf und presste die Lippen zusammen. Tommy nickte und wandte sich zum Gehen.
    »Was würdest du sagen, wenn ich ganz anders wäre, als du denkst?«, rief Vesa, als Tommy schon auf der Treppe stand. Tommy wandte sich abrupt um und sah ihm scharf in die Augen. »Was ist denn los mit dir?«, sagte er.
    »Nichts.«
    Tommys Gesichtszüge entkrampften sich. Er kam auf ihn zu und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Wenn du anders wärst, wäre ich sehr traurig, weil ich dich mag, wie du bist«, sagte er.
    Er lächelte ihn an.
    Vesa inhalierte das Lächeln.
    »Bis bald«, sagte Tommy und ging.

6
    Als Joentaa am Abend nach Hause kam, fand er eine Nachricht seiner Mutter auf dem Abstelltisch im Flur. Er hatte natürlich doch vergessen, sie am Morgen aus dem Büro anzurufen.
    Er versuchte, sich einzureden, dass Ojarantas überraschende Nachricht ihn daran gehindert habe. In Wirklichkeit hatte er es einfach vergessen.
    Es war nicht wichtig gewesen.
    Er dachte darüber nach und stellte fest, dass er erleichtert gewesen war, es vergessen zu dürfen.
    Anita hatte geschrieben, dass sie immer für ihn da sei und dass er sich melden solle, wann immer er wolle, zu jeder Tages- und Nachtzeit.
    Er versuchte nicht, gegen das Schuldgefühl anzukämpfen.
    Er rief sie sofort an, aber sie nahm nicht ab.
    Er wartete lange und versuchte es schon nach wenigen Minuten noch einmal. Er stellte sich vor, dass sie einen Unfall gehabt hatte. Er wusste, dass der Gedanke abwegig war, aber er konnte ihn nicht abschütteln.
    Er stellte sich vor, dass sie im Krankenhaus lag. Er sah ein Zugunglück. Er versuchte wieder, sie zu erreichen, und stellte sich vor, dass sie tot war, dass er nie wieder mit ihr sprechen würde.
    Er formte den Gedanken, bis er glaubte, er sei real.
    Er erreichte sie beim achten Versuch. Als er ihre Stimme hörte, zerplatzten die Bilder in seinem Kopf. Er spürte Erleichterung und eine vage Verärgerung darüber, dass er sich das Horrorszenario zusammengesponnen hatte.
    Natürlich war alles in Ordnung.
    Er hörte sich mit seiner Mutter sprechen und fragte sich, warum Sanna tot war, wenn Anita lebte.
    Warum war Sanna tot, wenn er lebte? Wenn alle lebten.
    Er versprach Anita, sich wieder zu melden.
    Er versprach, auf sich aufzupassen.
    Er wollte auflegen, aber Anita hielt ihn zurück.
    »Irgendwann wirst du neu beginnen können«, sagte sie.
    Er hörte die Verzweiflung in ihrer Stimme.
    Er schlief vor dem Fernseher ein.
    Er träumte von Sanna.
    Er träumte immer von ihr. Es erleichterte ihn nicht mehr, dass sie in seinen Träumen am Leben war, weil er während des Traumes begriff, dass er träumte.
    Er träumte, sie zu berühren, und wusste, dass sie nicht existierte.
    Er weinte.
    Er erwachte von seinen Schreien.

7
    Es war etwas anderes, etwas Neues, Fremdes. Ein Gefühl, das er nicht einordnen konnte.
    Sie lachte so laut, dass Mara es hören musste. Mara saß im Kassenhäuschen und las ein Buch, aber er spürte, dass sie von Zeit zu Zeit heimlich zu ihnen hinübersah.
    Mara fragte sich sicherlich, was diese Frau von ihm wollte.
    Er hatte auf der Treppe vor der alten Backstube gesessen und dem Regen zugehört, als sie plötzlich vor ihm gestanden und mit der Hand seine Schulter

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