Eismond: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)
berührt hatte. Er hatte die Augen geöffnet und nicht gewusst, was er sagen sollte.
»Vergessen, dass wir verabredet waren?«, fragte sie lachend.
Er stand hastig auf, strich sich die Haare aus dem Gesicht.
»Wir waren nicht verabredet«, sagte er.
»Du hast nicht übertrieben. Es ist wirklich schön hier«, sagte sie, als habe sie seinen Einwand nicht gehört. »Leider kaum Besucher.«
»Wenn es regnet, ist immer wenig los«, sagte er.
Er tauchte in ihre Augen und versuchte zu begreifen, was er fühlte.
Er spürte die Angst.
»Ich zeige dir die Handwerksstuben, wenn du willst«, sagte er.
»Natürlich.«
Sie hing an seinen Lippen.
Sie lachte, als er die Geschichte von Oscari, dem Bäckermeister, erzählte, der in Geldnöte geriet, weil er seine süßen Backwaren mit Vorliebe selber aß.
Er inhalierte ihr Lachen.
Sie bedankte sich für den Würfelbecher aus Leder.
Er tauchte in ihre Augen und begriff, dass er zwei Menschen getötet hatte.
Er stellte sich vor, dass sie es ungeschehen machen könnte.
Er stellte sich vor, sie zu umarmen.
Als sie gegangen war, fragte Mara, wer sie gewesen sei.
Er sagte: Jaana.
Er stellte sich vor, sie nie mehr loszulassen.
Er stellte sich vor, dass alles in Ordnung war.
Nichts war passiert.
Er war Vesa, und er lebte.
8
»Wir haben einen Schlüssel, der fehlt, und Fingerabdrücke, die niemandem zuzuordnen sind«, sagte Ketola. »Sonst noch was?« Er blickte in die Runde. Heinonen spielte nervös mit einem Kugelschreiber, Grönholm grinste schief. Niemi sah Ketola gut gelaunt und offen ins Gesicht, als habe er den gereizten Ton in dessen Stimme nicht bemerkt.
»Ich denke, wir sollten die Möglichkeit, dass beide Morde zusammenhängen, wieder ins Auge fassen«, sagte Joentaa.
»Und warum?«
Joentaa spürte, dass Ketola sich mühsam beherrschte, und wünschte, er hätte geschwiegen.
»Ich weiß nicht«, sagte er.
»Genau. Sie wissen nicht, womit Sie genauso viel wissen wie wir alle, nämlich nichts. Wir haben seit bald einem Monat zwei Tote und wissen nichts. Und das stört mich. Das nervt mich.«
Ketola stand auf und trat ans Fenster. Joentaa sah, dass er zitterte. Er dachte an die Flasche und das Glas in der Schublade seines Schreibtisches und fragte sich, ob Ketola noch in der Lage war, die Ermittlungen zu leiten. Er fragte sich, was eigentlich los war mit dem Mann, den er über Jahre als beherrschten und in einer fast zwanghaften Weise disziplinierten Menschen gekannt hatte. Auch wenn er den Choleriker immer unterschwellig erahnt hatte hinter der Fassade.
»Was sind das denn nun für Fingerabdrücke?«, fragte Ketola.
»Abdrücke, die wir bislang nicht zuordnen konnten«, sagte Niemi. »Ich weiß nicht, ob es wichtig ist. Der Täter hat ja offensichtlich Handschuhe getragen.«
»Trotzdem, wenn Laura Ojaranta ihn kannte, wenn er sogar ein Freund oder Liebhaber war, könnte er die Abdrücke früher hinterlassen haben«, sagte Grönholm. Er sah zu Ketola hinüber, aber der reagierte nicht. Er schien gar nicht gehört zu haben, was Grönholm gesagt hatte.
»Es ist zum Kotzen«, sagte Ketola nur und starrte aus dem Fenster.
Joentaa nahm sich vor, mit ihm zu sprechen, ihn zu fragen, was los sei und ob er ihm helfen könne. Er nahm es sich vor und fürchtete gleichzeitig, dass er nicht den Mut haben würde, auf ihn zuzugehen.
Er dachte darüber nach, was der Grund für Ketolas zunehmende Gereiztheit sein könnte, aber er sah nichts. Er wusste nicht einmal, ob Ketola verheiratet war, ob er Kinder hatte, Menschen, die ihm wichtig waren.
Er wusste nichts über ihn. Er wusste nur, was er sah. Dass Ketola die Kontrolle über sich verlor.
Grönholms klare warme Stimme durchbrach die Stille. »Es ist ja nicht so, dass wir nichts wissen«, sagte er. »Wir wissen so ziemlich alles über Frau Ojaranta, wir wissen etliches über Johann Berg. Das Problem ist, dass beide offensichtlich niemandem Anlass gegeben haben, sie umzubringen.«
»Sie sind aber tot«, sagte Ketola, ohne den Blick vom Fenster zu nehmen. »Und über Johann Berg wissen wir nicht viel mehr, als dass er Kulturgeschichte studierte, in einer Fabrik gearbeitet und aus Versehen einen Sohn gezeugt hat.«
»Die Kollegen in Stockholm haben immerhin herausgefunden, dass er Drogen genommen und in kleineren Mengen verkauft hat. Leichtere Drogen zwar, aber vielleicht könnte da irgendein Motiv liegen«, sagte Heinonen.
Ketola schnaubte. »Lächerlich. Sogar mein Sohn raucht Marihuana. Ist ja alles angeblich
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