Eismond: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)
ganz harmlos.«
Ketola nahm den Blick nicht vom Fenster und schien nicht zu bemerken, dass die anderen ihn sprachlos anstarrten.
Ketola hat einen Sohn, dachte Joentaa und fragte sich, warum ihn das überraschte. Wie hatte er Ketola gesehen? Alleinstehend vermutlich, keine Frau in seiner Nähe. Wer konnte schon auf Dauer mit einem ständig schlecht gelaunten Menschen zusammenleben?
Ketola selbst brach die Stille. Er wandte sich vom Fenster ab und setzte sich wieder an den Tisch. Er sprach über den verschwundenen Schlüssel, über die wenig hilfreichen Ergebnisse der Gerichtsmedizin, aber Joentaa hörte nicht mehr zu. Er fragte sich, ob dieser Sohn die Ursache für Ketolas Ausbrüche war. Warum hatte Ketola alle wissen lassen, dass sein Sohn Drogen nahm, nachdem er ihn jahrelang zumindest in Joentaas Anwesenheit nicht ein einziges Mal erwähnt hatte?
Irgendwann standen alle auf und gingen. Joentaa hatte fast nichts mitbekommen von Ketolas Ausführungen. Er wartete, bis nur noch er und Ketola im Raum waren. Er zwang sich zu bleiben.
»Auf was warten Sie?«, fragte Ketola.
»Ich wusste nicht, dass Sie einen Sohn haben«, sagte Joentaa.
Ketola hob den Blick und fixierte seine Augen.
»Und ich weiß nicht, ob Sie Kinder haben«, sagte er und wandte sich zum Gehen. »Haben Sie?«, fragte er, als er schon an der Tür stand.
Joentaa schüttelte den Kopf.
»Seien Sie froh«, sagte Ketola und ging.
9
Am Abend schrieb Vesa auf ein weißes Blatt alles, was er über Jaana wusste. Als Erstes schrieb er ihren Namen.
Jaana.
Jaana wohnte in Naantali. Ihre Wohnung lag direkt über dem Strandcafé, in dem sie arbeitete.
Im Sommer verkaufte sie Eis.
Sie hatte gesagt, dass er sich beeilen solle, wenn er von ihr noch ein Eis bekommen wolle, weil das Café nur bis Ende Oktober Eis anbiete.
Wenn er sich nicht beeile, müsse er bis zum nächsten Sommer warten.
Er malte das Haus, in dem sie wohnte. Vor dem Café saßen Menschen in der Sonne. Jaana schaute aus dem Fenster im ersten Stock und lachte ihm entgegen.
Er malte das Haus mit grüner Farbe aus.
Jaana hatte ihm gesagt, es sei ein grünes Holzhaus.
Er malte die Sonne gelb.
Er hatte gefragt, wie es in ihrer Wohnung aussehe, und sie hatte gelacht. »Du kannst ja richtig neugierig sein«, hatte sie gesagt und dass es bei ihr immer recht unordentlich sei. »In meinem Kühlschrank ist nie das, worauf ich gerade Hunger habe.«
Jaana hatte helle Haare und viele Sommersprossen.
Jaana war 25 Jahre alt und arbeitete als Kellnerin, aber sie hatte Schauspiel studiert. Sie spielte auf einer kleinen Bühne in Turku Kinderstücke. Weil sich kein männlicher Darsteller angeboten hatte, war Jaana im Moment Peter Pan.
Sie hatte gesagt, dass er unbedingt mal zuschauen solle.
Jaanas Eltern wohnten weit weg im Norden des Landes, und sie hatte nichts mehr mit ihnen zu tun. Warum? Die Frage hatte ihm auf der Zunge gelegen.
Er hatte sie nicht ausgesprochen.
Er hatte das dünne Eis gefühlt, die Angst vor ihren Fragen, die nicht kamen.
Keine Einzige.
Er versuchte, in Gedanken ihr Gesicht zu zeichnen, und dachte, dass es schön wäre, ein Foto von ihr zu haben.
Sie anzusehen, wann immer er wollte.
Bevor er schlafen ging, nahm er das Bild mit der verschwommenen Landschaft von der Wand. Er legte es unter das Bett.
Er wollte es nie wieder sehen.
Er würde Jaana um ein Foto bitten, wenn er sie in ihrem Café besuchte, bald, vielleicht schon morgen.
10
Den größten Teil des Tages verbrachte Kimmo Joentaa am Telefon in seinem Büro.
Er arbeitete eine Liste von Personen ab, die mit Laura Ojaranta in Verbindung standen. Freunde, Verwandte, Bekannte, Nachbarn.
Er erfuhr nichts Neues. Keiner konnte ihm etwas über den verschwundenen Schlüssel sagen. Alle versuchten, ihn möglichst schnell abzuwimmeln, alle sprachen sachlich, zielfixiert, in geschäftsmäßigem Ton, als sei der Tod der Frau, die sie gut gekannt hatten, nur eine von vielen Tatsachen, die hingenommen werden mussten.
Die Einzige, die ihre Trauer nicht verbarg, war Kerttu Toivonen, die Schwester der Toten. Sie wusste nicht, wo sich der Schlüssel befand, war sich aber sicher, dass ihre Schwester ihn nicht an Nachbarn weitergegeben hatte.
»Laura war nicht misstrauisch, im Gegenteil, sie ging auf alle zu, aber sie wollte auch immer irgendwie alles unter Kontrolle haben«, sagte sie. »Ein Schlüssel zu ihrem Haus in den Händen eines anderen hätte sie beunruhigt.«
Der Satz hallte in Joentaas Gedanken nach, während
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