Eismond: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)
großen Wohnzimmer und einer kleinen, darübergelegenen Bettnische, die man über eine Wendeltreppe erreichte. Die Einrichtung war weiß wie der Schnee draußen.
Sie brachte Kaffee und Plätzchen.
»Ich vermute, Sie halten das alles für … etwas merkwürdig«, sagte Joentaa, als sie sich gegenübersaßen.
Sie sah ihn lange an, bevor sie antwortete. »Nein. Ich bin nur überrascht …«
»Denken Sie häufig an Johann Berg?«, fragte er.
»Ich versuche, den Gedanken zu verdrängen.«
»Genau das kann ich nicht«, sagte Joentaa. »Ich werde den Gedanken nie los, egal was ich mache. Ich habe keine Sekunde Ruhe. Ich kann keine Musik mehr hören, weil jedes Lied mich an Sanna erinnert. Ich kann keinen Film ansehen, weil ich jeden mit Sanna gesehen habe und noch weiß, was sie an welchen Stellen gesagt hat.«
»Woran ist Ihre Frau gestorben?«, fragte sie.
Er wollte antworten, aber es klingelte an der Tür. Sie löste den Blick von seinem Gesicht und stand auf. Er hörte, wie sie mit ihrer Freundin sprach, die sie zur Vorlesung abholen wollte. Sie sagte, dass sie überraschend Besuch bekommen habe. Die Freundin hakte nach und fragte, was die Geheimnistuerei solle, aber sie sagte nichts weiter.
»Sanna hatte Krebs«, sagte Joentaa, als Annette Söderström zurück war. »Lymphdrüsen. Eine Krebsart, an der in achtzig Prozent der Fälle Männer erkranken.«
»Es tut mir … sehr leid«, sagte sie. Er spürte ihre Verunsicherung.
»Sie war eigentlich nie krank. Ich hätte nie für möglich gehalten, dass so etwas passieren könnte … und selbst jetzt, wo alles vorbei ist, kommt manchmal der Gedanke, dass es nicht stimmt, dass es nicht wirklich passiert ist …«
Sie nickte und führte die Tasse zum Mund. Er sah, dass sie zitterte. »Manchmal, wenn ich an Johann denke, an diese Nacht in der Jugendherberge, habe ich das gleiche Gefühl … dass es nicht wirklich passiert sein kann …«
»Wie geht es Sven?«, fragte er.
Sie atmete tief ein. »Ich weiß es nicht genau. Es ist sehr gut, dass er seine Mutter hat, und wenn ich ihn besuche, wirkt er immer … wie früher. Aber ich weiß nicht. Es kann ja nicht einfach so an ihm vorbeigehen … ich denke, dass auch er noch nicht wirklich begriffen hat, was passiert ist.«
Joentaa nickte. Er sah den Jungen vor sich, er erinnerte sich, wie er seinen Kopf gestreichelt hatte. Er erinnerte sich, dass Sven ihn verständnislos angesehen und geschrien hatte. Er hätte ihn gern besucht, aber was wäre sein Erscheinen anderes gewesen als die Erinnerung an eine Nacht, die Sven am besten für immer vergessen sollte.
Er sah Annette Söderström an, ihre Blicke trafen sich. Sie fragte, ob er etwas frühstücken wolle, und er sagte: »Gern.«
Er dachte, dass es richtig gewesen war. Es war richtig gewesen, nach Stockholm zu fahren.
»Ich bin froh, hier zu sein«, sagte er. »Ich weiß nicht genau warum, aber es ist so.«
Sie lächelte. »Ich weiß nicht, ob ich Ihnen wirklich … helfen kann.«
»Sie helfen mir, indem Sie mir gegenübersitzen und einfach da sind.«
24
Als Kimmo Joentaa am Abend im Schneeregen vor dem Schiff stand, umarmte er sie. Sie winkte, bevor sie in den Bus Richtung Innenstadt stieg. Er wandte sich ab und ging im Strom der einsteigenden Passagiere direkt in seine Kabine.
Er legte sich aufs Bett und dachte, dass es ein schöner Tag gewesen war. Es war ein schöner Tag gewesen, weil Annette Söderström zugehört hatte, als er von Sanna erzählte, zum ersten Mal seit ihrem Tod.
Er hatte ihr vieles erzählt. Er hatte ein Bild gemalt, das ganz ausgefüllt war von Sanna, und während er gesprochen hatte, hatte er geglaubt, dass Sanna lebte.
Sanna hatte ihn mit hochrotem Kopf im Armdrücken geschlagen. Sanna hatte im Wohnzimmer gesessen und mit leichten Bleistiftstrichen Fantasiegebäude entworfen. Verrückt geschwungene, surreale Häuser, die nie gebaut werden würden, und die Menschen, die in ihnen lebten, waren gut gelaunte Strichmännchen. Sanna hatte sich fürchterlich aufgeregt, wenn sie bei Gesellschaftsspielen verlor.
Sanna hatte bis zum letzten Tag so getan, als hätte sie keine Angst.
Er fragte sich, was sie gesagt hätte, wenn sie ihn hätte sehen können. Ob sie verstanden hätte, dass er einer Frau, die er gar nicht kannte, alles erzählte. Er fragte sich, was Sanna geantwortet hätte, wenn er sie hätte fragen können, was er als Nächstes tun solle. Er fragte sich, warum ausgerechnet Annette Söderström ihm hatte helfen können, warum er
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