Eismond: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)
Sie hatten jede Menge Spaß gehabt, und Sanna, die sonst gern in geometrischen Figuren dachte, die ihre Welt genauso felsenfest gebaut hatte wie ihre Häuser … Sanna hatte im Suff absurde Geschichten erzählt, albern gelacht und ihn so fest an sich gedrückt, dass er gefürchtet hatte zu ersticken.
Sanna hatte viele Gesichter gehabt.
Sanna, die immer genau gewusst hatte, wo es im Leben langzugehen hatte.
Nach einer Weile wurde es an Deck eiskalt. Ein Stewart kam und rief ihm zu, er solle endlich reinkommen, das sei doch Wahnsinn da draußen.
Er ging hinunter in den großen roten Saal, in dem er mit Sanna gesessen hatte, ja, er war jetzt ganz sicher, dass es sogar dasselbe Schiff war. Dasselbe Stimmengewirr. Die Geldautomaten spielten die gleichen schrägen Melodien, bevor sie Münzen schluckten. Überall Lachen, Grölen, gut gelaunte Menschen. So war es auch damals gewesen, nur die Band war jetzt eine andere. Damals hatte eine dunkelhäutige Sängerin gesungen, deren Stimme ihm gefallen hatte, jetzt sang ein weißhaariger Hüne, aber es war dieselbe Musik, diese unangenehme Mischung aus Tango und Schlager, die immer gleich klang.
Er setzte sich auf ein rotes Sofa und bestellte ein Wasser. Er betrachtete die Paare auf der Tanzfläche und spürte, wie die eindimensionale Melodie und die monotone Stimme des Sängers ihn langsam einschläferten.
Als er erwachte, stand vor ihm ein Glas mit Wasser. Auf der Tanzfläche schunkelten Paare eng umschlungen zu einem lang gezogenen Gitarrensolo. Der weißhaarige Hüne lachte den Gitarristen an und imitierte seine Bewegungen.
Joentaa setzte sich aufrecht und trank.
Er fragte sich, was er auf diesem Schiff wollte, was er in Stockholm wollte.
Er schloss die Augen und dachte an die tote Frau in der hellen Wohnung über dem Strandcafé.
Jaana Ilander.
Eine schöne Frau, hatte Niemi gesagt. Eine irgendwie besondere Frau.
Besonders war, dass Jaana Ilander den Mörder gekannt hatte. Sie hatte in ihm einen Freund gesehen, und der Mann, der sie getötet hatte, hatte ihre Nähe gesucht.
Warum?
Er hatte mitten in der Nacht bei ihr geklingelt, er war in Panik gewesen, und er hatte bei ihr Ruhe gefunden.
Was hatte der Mann vorher getan, was hatte ihn in diese Aufregung versetzt?
Jaana Ilander hatte geglaubt, er sei harmlos, und die Besitzerin des Cafés hatte ihn nicht zu Gesicht bekommen.
Er achtete darauf, nicht aufzufallen.
Er genoss es, nicht aufzufallen.
Er hatte in einer voll belegten Jugendherberge einen Mann getötet, er hatte den Mord in einem Zimmer begangen, in dem sieben Menschen schliefen.
Er hatte sich sehr stark gefühlt, und er hatte das Gefühl gehabt, unsichtbar zu sein. Er hatte eine risikoreiche Situation gesucht, um sich selbst und allen anderen zu beweisen, dass ihm nichts passieren würde.
Er fühlte sich unantastbar.
Er fühlte sich stark, unsichtbar und unantastbar.
Joentaa bat den Kellner um einen Stift und schrieb die drei Worte auf einen Bierdeckel. Stark, unsichtbar, unantastbar .
Er steckte den Bierdeckel in sein Portemonnaie.
Dann zerstreuten sich die Gedanken.
Als sie wieder Gestalt annahmen, sah er sich selbst. Er sah die tote Frau, Jaana Ilander, auf dem Bett liegen. Er sah, wie er sich über sie beugte.
So hatte sich auch der Täter über sie gebeugt, bevor er das Kissen auf ihr Gesicht gepresst hatte.
Warum hatte er das getan? Warum hatte er eine Frau getötet, die ihm geholfen hatte, als er verzweifelt war?
Im Schlafzimmer hatte kein Licht gebrannt, als die Tote am Morgen gefunden worden war. Hatte der Mann in der Nacht, bevor er das Kissen nahm und Jaana Ilander erstickte, das Licht gelöscht?
In der Jugendherberge war es sicher dunkel gewesen.
In der Dunkelheit hatte sich der Mann wohlgefühlt.
Ja, er hatte das Licht gelöscht. Es war immer dunkel gewesen, er hatte Dunkelheit geschaffen, um nicht sehen zu müssen, was er tat.
Joentaa schloss die Augen, er presste sie fest zusammen und war in der Wohnung. Er sah durch das breite Fenster auf den Strand im Dunkel.
Er ging schnell durch den Flur ins Schlafzimmer.
Er sah den Mann als Schatten, er stand am Bett.
Er sah, dass er zitterte und dass er nicht tun wollte, was er tat.
Plötzlich streckte sich der Mann und presste ruckartig das Kissen auf Jaana Ilanders Gesicht. Er tat es mit aller Kraft, er war sehr entschlossen.
Der Mann war erleichtert, dass sie schlief, denn er wollte nicht, dass sie litt.
Warum hatte er sie dennoch getötet?
Er folgte dem Mann ins
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