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Eismond: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)

Eismond: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)

Titel: Eismond: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
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die den See umgaben.
    Er sah den blassen Mond, der keine Bedeutung hatte.
    Er tastete sich am Eis entlang und begriff, dass alles ganz anders war, als er geglaubt hatte.
    Wie hatte er sich so irren können?
    Als die Angst ihn ganz durchdrungen hatte, ließ er sich hinabsinken.
    Das war besser.
    Je tiefer er sank, desto wärmer wurde es, und das Brennen in seinem Hals ließ nach.
    Er atmete.
    Er lag am Boden.
    Ihm war sehr warm.
    Er war erlöst, dieses Mal für immer.
    Er sah die Farbe, die er nicht kannte.
    Kurz bevor er einschlief, erwachte er.

Dritter Teil
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1
    Daniel Krohn hatte gewusst, dass sie ihm Ärger machen würde.
    Das war das Erste, was er dachte, nachdem er sich aus der Erstarrung gelöst hatte. Aus den surrealen Sekunden, in denen nichts war außer Verblüffung.
    Er stand im Flur, den Hörer noch in der Hand, obwohl der andere längst aufgelegt hatte, und Marion schrie ihn an.
    Warum schrie sie eigentlich?
    Der Mann am Telefon hatte mit einem merkwürdigen Akzent gesprochen, den er schon einmal gehört hatte. Er wusste nicht, wo das gewesen war, er erinnerte sich nicht, bis der Mann am anderen Ende der Leitung nach kurzer Vorrede sagte, Jaana Ilander sei ermordet worden und habe ihm, Daniel Krohn, eine Zweizimmerwohnung hinterlassen.
    Der Mann sprach ruhig, bedächtig, ein Deutsch mit starkem Akzent, aber grammatikalisch verblüffend korrekt und klar.
    Kristallklar. Hart.
    Jaana Ilander.
    Natürlich.
    Er hatte gewusst, dass sie ihm Ärger machen würde.
    Das war sein erster Gedanke.
    Der Gedanke war schon da gewesen, als er den ersten Kuss auf ihre Lippen gepresst hatte, vor vielen Jahren, in einem ganz anderen Leben.
    Der Mann am Ende der Leitung nannte seinen Namen und seine Telefonnummer und wartete geduldig, bis er alles auf einen Zettel geschrieben hatte. Der Mann erklärte ihm, er könne von Frankfurt nach Helsinki fliegen und anschließend mit dem Bus nach Turku fahren. Wenn er ihm rechtzeitig Bescheid gebe, werde er ihn am Busbahnhof abholen.
    Der Mann schien keine Zweifel zu hegen, dass er ins nächste Flugzeug steigen würde. Während der Mann sprach, schielte Daniel Krohn auf den weißen Zettel und las einen Namen, der ihm nichts sagte und der sich dennoch einprägte.
    Kimmo Joentaa, Polizist in Finnland.
    An einem weißen Strand in Italien hatte Jaana Ilander von Finnland erzählt. Er hatte in ihre Lippen gebissen und gedacht, Finnland liege am anderen Ende der Welt, unerreichbar und sehr nah. Er hatte ihre Bluse aufgeknöpft, mit seiner Zunge ihre Augen geschlossen, und Jaana Ilander hatte gelacht.
    Ihr Lachen hatte er nie vergessen. Es war das Einzige, an das er sich wirklich erinnern konnte.
    Marion schrie ihn an.
    »Das war sie wahrscheinlich!«, rief sie. »Meinst du, ich merke nichts? Meinst du, du kannst dir alles erlauben?!«
    »Das war ein Polizist«, sagte er. »Ein Finne.«
    Sie wollte neu ansetzen, hielt aber verblüfft inne.
    »Vor Jahren habe ich mal was mit einer Finnin gehabt … du brauchst nicht gleich losschreien, wir kannten uns damals noch nicht … es ist ewig her … sie hieß Jaana … sie ist tot.«
    »Was?«
    »Der Polizist hat gesagt, dass sie ermordet wurde und dass ich ihre Wohnung geerbt habe.«
    Marion starrte ihn an, und er selbst spürte, dass er nicht wirklich begriff, was er da redete. »Moment«, sagte er und ging zielstrebig Richtung Schlafzimmer. Er öffnete die Tür des Spiegelschrankes, kniete sich hin und kramte im untersten Fach nach dem Schuhkarton.
    Er spürte, dass Marion hinter ihm stand.
    Er wusste plötzlich wieder, dass der Schuhkarton da war, er wusste genau, wie er aussah, weiß mit grünen Streifen, Tennisschuhe hatten darin gelegen, er erinnerte sich jetzt genau an den Tag, an dem er diese Schuhe gekauft hatte.
    Er kramte im untersten Fach des Schrankes. Er fand eine weiße Tüte mit alten Kleidern, zwei zerbrochene Tennisschläger und einen Walkman, in dem die Batterien ausgelaufen waren. Er hörte Marion, die »Igitt« sagte, als er den Walkman neben sich auf den Boden legte.
    Er dachte, dass er lange nicht in dieses Fach gesehen hatte.
    Im hintersten Winkel stand der Schuhkarton.
    Weiß mit grünen Streifen.
    Er nahm ihn und stellte ihn vor sich auf den Boden.
    »Was ist das?«, fragte Marion.
    »Briefe.«
    »Briefe … von ihr, von dieser …«
    »Jaana.«
    »Du hast mir nie erzählt …«
    »Ich habe keinen einzigen beantwortet«, sagte er und öffnete die Schachtel. Er sah mit blauer Tinte beschriebene Blätter und eingerissene

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