Eismord
»Donna Vaughan.
New York Post.
Die Karte ist nicht mehr aktuell. Ich arbeite nicht mehr bei der Zeitung. Ich bin freischaffend.«
»Was interessiert eine Reporterin aus New York an einem Mord in Algonquin Bay?«
»Ich denke, das finden Sie selbst sehr schnell heraus. Ich arbeite an einer Reportage – nicht für die Post, sondern hoffentlich auf Landesebene –, eine Reportage, mit der ich ganz groß rauskommen werde. Und ich denke, wir könnten uns vielleicht gegenseitig helfen. Sind Sie mit den Reifenprofilen am Trout-Lake-Tatort schon irgendwie weitergekommen?«
»Wir verfolgen eine Menge Spuren. Das braucht Zeit.«
»Und die Fußabdrücke?«
»Wie gesagt, wir verfolgen viele Indizien.«
Sie musterte ihn von oben bis unten. »Vielleicht hab ich mich getäuscht. Sieht nicht so aus, als ob Sie mir helfen könnten. Ich sollte Ihre Zeit nicht länger in Anspruch nehmen.«
Cardinal stieg in den Wagen und drehte den Zündschlüssel, um die Heizung einzuschalten. Er zückte sein Notizbuch und machte sich daran, eine Liste mit Anrufen aufzuschreiben, die zu erledigen waren. Ms. Vaughan fuhr in einem hellbraunen Focus neben ihn und ließ die Scheibe herunter.
Cardinal drückte den Knopf auf der Armlehne.
»Wissen Sie was, Detective? Ich wette, dass ich zu diesem Zeitpunkt mehr weiß als Sie.«
»Und das wäre?«
»Wer die Opfer sind, zum Beispiel.« Sie strich sich eine Haarsträhne aus den Augen. Sie hatte dunkle Brauen, und der Kontrast verlieh ihren Augen einen noch intensiveren Ausdruck. »Sie heißen Lev und Irena Bastov. Russischer Abstammung, aber beide US-amerikanischer Nationalität.«
»Sieh mal an. Und woher wollen Sie das wissen?«
»Die Reportage, an der ich arbeite – es geht um die russische Mafia. Und bitte behalten Sie das für sich, ich hänge nämlich irgendwie am Leben.« Sie fuhr los, bevor sie das Fenster ganz geschlossen hatte.
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7
W ir wissen, wer die Toten sind«, sagte Delorme, als Cardinal im Dezernat eintraf. »Wir haben sie identifiziert!«
»Lass mich raten«, sagte Cardinal. »Lev und Irena Bastov.«
Delorme schien enttäuscht.
»Woher weißt du das?«
»Tut nichts zur Sache. Und wie seid
ihr
darauf gekommen?«
»Eine Frau oben von der Pelzauktion hat eine Vermisstenmeldung gemacht. Die beiden haben in der Highlands Lodge gewohnt. Wir sollten sofort da hinauffahren.«
»Die KTU soll schon mal allein anfangen. Wir haben heute Morgen die Autopsie. Gib mir ein paar Minuten, und wir nehmen den nächsten Flieger – ich fahr nicht schon wieder die vierhundert Kilometer mit dem Wagen.«
Cardinal setzte sich, ohne den Mantel auszuziehen, an den Schreibtisch, zog die Visitenkarte heraus, die ihm Donna Vaughan gegeben hatte, und rief bei der
New York Post
an. Da es Sonntag war, konnte er keinen der Herausgeber erreichen, doch immerhin hatte er schließlich einen Redakteur in der Leitung.
»Donna Vaughan? Ja, die hat hier gearbeitet.«
»Wieso hat sie gekündigt?«
»Ich kann am Telefon nicht den beruflichen Werdegang unserer Mitarbeiter diskutieren, Detective, bringt einen allzu schnell vor den Kadi. Ich kann bestätigen, dass sie für uns gearbeitet hat und vor ungefähr einem Jahr gegangen ist, das war’s dann aber auch.«
Noch während sie miteinander sprachen, hatte Cardinal Donna Vaughan gegoogelt. Zu ihrer Namenszeile erschienen mehrere Artikel, meist über Mode.
»Kommst du nun oder nicht?« Delorme stand neben seinem Schreibtisch und sah verärgert aus.
Sie erwischten noch einen Air-Canada-Flug nach Toronto und trafen ein wenig zu früh im Leichenschauhaus ein. Während Cardinal ein paar Telefonate erledigte, saß Delorme einfach nur da und vertiefte sich in die Gummistiefel, die in Reih und Glied auf einem erhöhten Regalbrett standen. Neben der Tür hing eine Liste mit Bestattungsinstituten und Telefonnummern, über den Waschbecken warnte ein handbeschrifteter Zettel:
Achtung! Chlor & Ammoniak=Gift!
Irgendwann ging die Tür auf. Dr. Elmer Spork begrüßte sie und stellte seine Assistentin vor, eine zierliche, nervöse Frau namens Tranh, die ungefähr halb so groß war wie er. Er schlüpfte aus seinem Sportsakko und tauschte es gegen OP -Kleidung und eine Plastikschürze. Er entsprach nicht im mindesten dem Bild, das man sich von einem Pathologen macht. Obwohl er um die fünfzig sein musste, hatte er gelocktes, blondes Haar und die jugendlich robuste Ausstrahlung eines Mannes, der gerade ein Tennismatch gewonnen hat. Um seinen Hals baumelte an
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